Donnerstag, Dezember 19, 2024
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„Der, der überlebt, versorgt die Kinder.“ Für die 196 Todesopfer der Flut kam jede Warnung zu spät

Ein Beitrag von Martin Lejeune

Zwei der unzähligen Dramen, die sich in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli ereigneten:

Zwei Schwestern flüchten über das Dachfenster ihres im Nu flutenden Hauses auf einen Baum, in dem sie sieben Stunden lang hingen, bis sie gerettet wurden. Die eine Schwester sagte, in der Baumkrone hängend, zur anderen: „Der, der überlebt, versorgt die Kinder.“

Eine Mutter, die vor ihrem unbewohnbaren Haus in Dernau um Fassung ringt, berichtet: „Wir saßen mit unseren Kindern 18 Stunden lang auf dem Dach und es kam keine Hilfe. Unsere Kinder haben sich in der Nacht von uns verabschiedet. Sie haben gesagt, daß sie uns lieben – und wenn sie sterben…“

Während der 18 Stunden sah die Familie vom Dach aus ganze Güterzüge, Gastanks und LKWs vorbei schwimmen. Im Einsatz war auch der Kampfmittelräumdienst, weil verborgene Fliegerbomben aus dem zweiten Weltkrieg frei geschwemmt wurden. Auch war die Feuerwehr im Einsatz wegen austretender Salzsäure und geplatzten Gasleitungen. Die Lage war und ist teilweise noch heute hochgefährlich.

Martin Lejeune und Rechtsanwältin Viviane Fischer vor Ort in Dernau

196 Menschen, die bei den Unwettern in Teilen Deutschlands, Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande vergangene Woche starben (Stand 19.07.2021 um 19:29), können ihr durch das Hochwasser verursachte Leid nicht mehr erzählen. Für sie kam jede Warnung zu spät.

Dabei hatte das Europäische Hochwasserwarnsystem (EFAS) bereits am 10. Juli die ersten Warnungen an die zuständigen nationalen Behörden geschickt. Bis zum 14. Juli wurden mehr als 25 Warnungen für das Einzugsgebiet von Rhein und Maas durch das EFAS versendet.

Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) meldete am 11.07.2021 um 13:51 eine Hochwasserfrühwarnung der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW).

Am 12.07.2021 wurden weitere Warnmeldungen medial verbreitet:

„Die Talsperren sind derzeit zu knapp 96 % gefüllt. Wir haben da noch 4 % Platz, um Regenereignisse zwischenspeichern zu können.“ (Markus Rüdel, Sprecher des Ruhrverbands)

„Wir erwarten eine Wetterlage mit hohem Unwetterpotenzial. Dabei regnet es teils extrem kräftig. Zwischen Dienstagmorgen und Donnerstagmorgen könnten punktuell insgesamt bis zu 200 Liter Regen pro Quadratmeter fallen.“ (David Bötzel, Meteorologe vom Dienst beim Deutschen Wetterdienst)

„Mit lokalen Sturzfluten, Erdrutschen oder Überschwemmungen ist zu rechnen. Erhöhte Unfallgefahr! An einigen Stellen dürften die starken Niederschläge der Kanalisation wieder Probleme bereiten. Für Hausbesitzer könnte sich auch der eine oder andere Sandsack lohnen.“ (Dipl.-Met. Sabine Krüger)

Das Modulare Warnsystem (MoWaS), ein vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe entwickeltes System zur Warnung der Bevölkerung in Deutschland für Zivilschutzlagen, das den Ländern zugleich zur Warnung vor Katastrophen zur Verfügung steht, meldete laut Armin Schuster, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn, zwischen dem 14. und dem 17. Juli „150 Warnmeldungen„, 16 davon mit der Warnstufe 1 (Lebensgefahr).

Georg Rose, seit 1997 Chefredakteur von Radio Wuppertal, sagt, er sei schon vor der ersten MoWaS-Warnmeldung über die anstehende Katastrophe informiert worden: „Wären wir auf MoWaS angewiesen gewesen, hätten wir unsere Hörer erst eine halbe Stunde später informieren können.“

Unzählige Schicksale verursachte die Flut. Sie brachte aber auch eine große Schar Helfer ins Katastrophengebiet. Die Schaumburger Zeitung (Online-Ausgabe) vom 18. Juli 2021 berichtet über einen THW-Zugführer aus Rinteln, der in NRW zum Einsatz kam und die Einsätze vor Ort heftig kritisiert: „Wir waren angefordert als Fachzug Wassergefahren. Wir hatten Equipment und Know-how für viele weitere Aufgaben dabei. Wir hatten Pumpleistung für Tausende Liter und vier große Kräne dabei. Damit hätten wir die Räumarbeiten unterstützen können. Doch nach einer stundenlangen Anfahrt über die Autobahn und einer Nacht im Lastwagen auf einem Rastplatz sind wir einfach wieder nach Hause geschickt worden. Großeinsatz ist am Anfang Chaos. Aber was ich noch nie erlebt habe, dass man Einheiten wieder nach Hause schickt.“

Sebastian Schmidt, Ortsbeauftragter des THW-Ortsverein Rinteln, war ebenfalls mit Frühmark im Einsatzgebiet. Die Hilfsbereitschaft von Frühmark war keine Einzelgänger-Aktion.

Der THW-Mann Stefan Frühmark ist entsetzt und meint, dass er die desolaten Hilfsaktionen „nur sehr schwer vermitteln“ könne. Sein Bruder Torsten Frühmark twittert, es gebe Videoberichte auf Youtube von Landwirten, die mit ihren Traktoren tatkräftig unterstützten, während laut einer Twittermeldung in einem konkreten Fall die Behörden den THW weggeschickt hätten.

Der Staat ist offenbar trotz seiner aufwendigen und teuren Katastrophenschutzapparate und weitreichenden Erfahrungen mit Hochwasserlagen nicht fähig, schnell und wirksam überall vor Ort zu helfen.

Im Raume stehen schwere Vorwürfe. Die Vorwarnung der Bevölkerung hatte überwiegend nicht funktioniert. Dass es keine Möglichkeiten dazu gab, kann ausgeschlossen werden, wie das Beispiel der Stadt Wuppertal zeigt. Hier wurden Sirenen eingesetzt, eine Sondersendung im Lokalradio berichtete über die aktuelle Entwicklung und es wurde mit Lautsprecherwagen herumgefahren, um die Bevölkerung zu alarmieren.

Apropos Sirenen. Diese sollen bundesweit am Warntag getestet werden. Der ursprünglich für diesen September geplante bundesweite Warntag fällt aus. Darauf haben sich die Innenminister von Bund und Ländern kürzlich verständigt. Der nächste Warntag soll erst am 8. September 2022 stattfinden. Zur Begründung teilte das Bundesinnenministerium mit, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) baue derzeit eine „umfassende Testlandschaft auf“. Diese werde im ersten Quartal 2022 zur Verfügung stehen.

Es bedarf allerdings nicht nur zentraler Systeme, um in dieser Weise effektiv zu helfen und zu schützen. Vielleicht muss die Frage gestellt werden, ob und wer da bremst. Nach einer Pressemeldungen des THW vom 17. Juli sind in der Region nur 2.500 THW-Helfer im Einsatz.

Angesichts des Ausmaßes des Schadens und der Einordnung als größtes Flutunglück seit der Sturmflut in Hamburg anno 1962 ist schwer nachvollziehbar, dass von den 80.000 THWlern, die zur Hälfte aus Einsatzkräften bestehen (Wikipedia), die übergroße Mehrheit von 37.500 gut ausgebildeten Einsatzkräften zu Hause sitzt und Däumchen dreht.

Zentral und digital wird beim Wetterdienst die Lage ausgewertet. Warnungen wurden ausgegeben, ergebnislos.

Wenn es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, den alle Bürger zwangsweise hoch finanzieren müssen, kann von diesem erwartet werden, dass er sich im Gegenzug darum kümmert, die Bevölkerung mit relevanten Informationen zu versorgen, zumal mit lebenswichtigen Informationen.

Nicht so der WDR. Der verpennt das Ereignis, versäumt die Bevölkerung zu alarmieren, aber spuckt große Töne, wenn es darum geht den Klimawandel als Ursache der Katastrophe zu verkaufen.

Es erscheint grotesk, wenn ausgerechnet der aufgeblähte WDR Personalknappheit für seine Fehlleistung mit verantwortlich macht.

Über die sich ankündigende Naturkatastrophe wurde im SWR sogar verharmlosend und ohne konkrete Warn- und Verhaltenshinweise berichtet. So lautete die Wettervorhersage für das Hochwassergebiet am 14. Juli um 17:00 Uhr: „In der Nacht regnet es zunächst noch leicht.“ Wir reden hier von einer Nacht, in der es allein im Sendegebiet des SWR über 100 Todesopfer durch Regen gab!

Auch international war die Gefahr rechtzeitig erkannt worden. Am 17. Juli kursierte das Zitat einer Mitarbeiterin der englischen Universitätsstadt Reading, die bemerkte: „Schon mehrere Tage vorher konnte man sehen, was bevorsteht. Alle notwendigen Warnmeldungen der Wetterdienste sind rausgegangen. Doch irgendwo ist diese Warnkette dann gebrochen, so dass die Meldungen nicht bei den Menschen angekommen sind.“ (Prof. Dr Hannah L. Cloke, University of Reading)

In Reading steht zufällig das europäische Wetterzentrum, dem einer der leistungsstärksten Computer der Welt (Cray XC3) für ihre Wetterberechnungen zur Verfügung steht. Aber was nutzt alle Digitalisierung, wenn die daraus generierten Warnungen nicht ernst genommen werden?

Übrigens hat die EU beim Austritt der Briten aus der EU beschlossen, eine Niederlassung dieses Europäischen Wetterzentrums auf dem Gebiet der verbliebenen EU einzurichten. Als Standort für die neue Einrichtung hatte sich unter anderem Barcelona. Die Wahl fiel jedoch auf die deutsche Stadt Bonn.

Ministerpräsident Laschet verkündet noch am 7. Dezember 2020 auf der Website des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur: „Die Entscheidung des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) für den Standort Bonn ist eine Entscheidung für Europa, Exzellenz und Vernetzung. Nordrhein-Westfalen bietet dem EZMW und seinen Mitarbeitern hervorragende Arbeits- und Lebensbedingungen im Herzen Europas mit ausgezeichneten Voraussetzungen in den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Nachhaltigkeit.“

So gut kann die Vernetzung wohl nicht sein, wenn die Warnungen aus dem eigenen Haus dort verpuffen.

Es ist der gleiche Laschet, der im englischsprachigen Magazin Politico am 15. Juli 2021 versucht, einen Bezug von der hausgemachten Überschwemmungskatastrophe mit Todesopfern zum Klimawandel herzustellen:

«‹Wir werden immer wieder mit solchen Ereignissen konfrontiert, und das bedeutet, wir brauchen mehr Tempo beim Klimaschutz – bundesweit, europaweit, weltweit.Jeder muss jetzt seine Maßnahmen ergreifen, und da brauchen wir mehr Schwung für den Klimaschutz sowie präventive Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel.»

Das Europäische Wetterzentrum in Bonn hat einen ihrer Schwerpunkte in der Erforschung des Klimawandels und ist selbst mit dieser speziellen Expertise nicht in der Lage, die Probleme zu erkennen und vorbeugende Maßnahmen zu initiieren. Dann hat es wohl doch weniger mit dem Klima zu tun als mit einem ganzen Strauß von externen Faktoren, von denen das mangelhafte Meldewesen und überfordertes örtliches Krisen-Management nur einen Ausschnitt darstellen. Bekannt ist, dass eine dichte Bebauung ehemaliger Auen, die Begradigung von Flüssen und die Versiegelung großer Flächen dazu beitragen, dass es nicht nur zu dieser Katastrophe kommen konnte, sondern dass sie vorhersehbar war.

Am Ende bleibt stehen, dass diese Katastrophe hausgemacht ist und die Versuche, einen Zusammenhang zu Klimagefahren zu konstruieren, ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver ist. Längst ist unter Wissenschaftlern bekannt, dass die verfügbaren Wetterdaten der letzten Jahre belegen, dass die Regenmenge in unseren Sommern nicht zugenommen hat (Quelle: Deutscher Wetterdienst) und es keine Zunahme von Extremwetterereignissen gibt.

  • „So dokumentierte ein Team der National University in Canberra, dass die globalen Niederschläge in den letzten 70 Jahren trotz globaler Erwärmung sogar weniger extrem geworden sind, und dies sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht. Eher gibt es eine Tendenz zu ausgeglicheneren Verhältnissen: Trockene Gebiete wurden feuchter, und feuchte Gebiete wurden trockener. Eine Temperaturabhängigkeit der Niederschlagsvariabilität war nicht festzustellen.“
  • „Zu einem ähnlichen Schluss kam 2021 auch eine Forschergruppe um Louise Slater von der University of Oxford. Sie hat über 10.000 verschiedene Flußpegel-Aufzeichnungen aus der ganzen Welt ausgewertet und für die letzten 50 Jahre auf Trends hin untersucht. Die Wissenschaftler stießen dabei auf signifikante Veränderungen, die sich je nach Klimazone und betrachtetem Zeitmaßstab jedoch voneinander unterschieden. Im globalen Maßstab hat die Stärke der Überflutungen insgesamt abgenommen. Die sogenannten Jahrhundert-Hochwässer sind in den trockenen und gemäßigten Klimazonen der Erde zurückgegangen. Das sind jene Hochwasser-Ereignisse, die statistisch gesehen alle 100 Jahre auftreten. In den kalten Regionen der Erde zeigten sich bei den Jahrhundert-Hochwässern durchmischte Trends.“
  • «Das Umweltbundesamt berichtete in seinem Monitoringbericht zur deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel 2019, dass keine Hochwassertrends feststellbar seien: ‹Die Zeitreihe zum [deutschen] Hochwassergeschehen ist durch einzelne wiederkehrende Hochwasserereignisse sowohl im Winter- als auch im Sommerhalbjahr geprägt. Signifikante Trends lassen sich nicht feststellen.›»

Dipl.-Met. Marcus Beyer, Deutscher Wetterdienst, stellt die entscheidende Frage: „Warum sind so viele Menschen gestorben? Warnungen wurden Tage im Voraus ausgegeben. Das Ausmaß der Niederschläge wurde von den Modellen in den kommenden Tagen gut erfasst. Erste Vorwarnungen wurden drei Tage im Voraus ausgegeben. Zwei Tage im Voraus wurde über MOWAS gewarnt. Trotz der langen Vorlaufzeit konnten so viele Menschen nicht mehr geschützt werden und mussten sterben.“

Im Gedenken an die Opfer der verheerenden Überschwemmungen begeht Belgien heute einen Tag der nationalen Trauer. Von 12.01 Uhr bis 12.02 Uhr wurde im ganzen Land eine Schweigeminute abgehalten. Regierungschef Alexander De Croo erklärte, der Staatstrauertag werde ein Moment sein, um sich zu sammeln angesichts der zahlreichen Todesopfer. Er biete aber auch die Möglichkeit, die „vielen Solidaritätsbekundungen und das von den Belgiern empfundene Zusammengehörigkeitsgefühl zu würdigen“. Wo bleibt der Staatstrauertag für die Flutopfer in Deutschland?

Über Hochwasserlagen informieren öffentlich:

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