Mittwoch, April 24, 2024
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Der Panic Room der polnischen Regierung

Ein Beitrag von Rechtsanwältin Viviane Fischer

Die polnische Regierung ist unter Druck. Sie muss u.a. wegen einer Vielzahl von Korruptionsskandalen um ihren Machterhalt bei der im Herbst anstehenden Wahl bangen. Mit einer Art Inquisitionsgesetz will sie nun aussichtsreiche Oppositionelle verfolgen und deren Wahl verhindern. Die polnische Bevölkerung ist empört und zu Hunderttausenden auf den Straßen.

Bei den Wahlen steht viel auf dem Spiel für die Regierungspartei PIS und andere mit ihr verbundene Personen und Entitäten. Eine Reihe von Politikern und Staatsbeamte sind in Korruptionsskandale, Machtmissbrauch und Verstöße gegen die Verfassung verwickelt, deren Aufarbeitung bei einem Regierungswechsel unangenehm werden könnte. Besonders bemerkenswert ist ein mehr als fragwürdiger Ankauf von funktionslosen Beatmungsgeräten für umgerechnet € 43 Millionen von einem bekannten Waffenhändler, in den neben dem polnischen Geheimdienst offenbar auch der Premierminister Mateusz Morawieck verstrickt ist. Der Waffenhändler hatte sich, nachdem der Deal aufgeflogen war, mit möglicherweise staatlicher Rückendeckung ins Ausland abgesetzt und soll dort dann angabegemäss ganz überraschend verstorben sein.

Die Popularität der Regierungspartei PIS ist auch angesichts dieser Skandale begrenzt, sie hat allerdings durch ihr klares Bekenntnis zur Ukraine und gegen Russland in den letzten Monaten eine gewisse Zustimmungs-Renaissance erfahren. Das Kriegsthema soll nun, so scheint es, als Steigbügelhalter für die nächste Wahl genutzt werden, möglicherweise steckt aber noch mehr dahinter. Piotr Buras schreibt in einem Gastbeitrag in der ZEIT: „Doch je näher die Parlamentswahl im Herbst rückt, desto größer gerät für die regierende PiS-Partei von Jarosław Kaczyński die Versuchung, den Krieg für eine autokratische Umgestaltung der rechtsstaatlichen Ordnung zu instrumentalisieren.“

Es ist ein Gesetz parlamentarisch beschlossen und in einer Nacht und Nebel-Aktion vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda ausgefertigt worden, das in nie dagewesener Art und Weise Macht in den Händen einer kleinen Gruppe von Personen konzentriert. Vordergründig soll mit der gesetzlichen Regelung russische Einflussnahme im Land ausgeforscht und abgewehrt werden. Nach Ansicht der Opposition und unter anderem der 500.000 Menschen, die am letzten Sonntag in Wahrschau demonstriert haben, soll das Gesetz, das auch als „Lex Tusk“ bekannt geworden ist, aber vor allem Oppositonsvertreter und Regierungskritiker ausschalten. Der heutige Oppositionsführer Donald Tusk war von 2007 bis 2014 Ministerpräsident Polens, heute ist er der einzige ernst zu nehmende Gegner der PiS. Seine Kandidatur, so der Verdacht, soll mit aller Macht verhindert werden.

Und der Verdacht erhält ständig neue Nahrung. Nach der Verabschiedung des Gesetzes twitterte ein stellvertretender Minister das Bild von Tusk mit der Erklärung: „Donald Tusk (auf dem Foto noch frei) ist die Nr. 1 auf der Liste der Politiker, die deputinisert werden sollen.“  In den Medien wird Tusk beständig als Putinversteher, ausländischer Agent und Befürworter einer deutschen-russischen Herrschaft in Europa dargestellt. Das Etikett „russischer Agent“ zu verhängen, scheint für die PiS das Diskreditierungsmittel der Wahl zu sein. Unlängst bezeichnete der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński einen Journalisten von TVN – dem größten unabhängigen Fernsehsender – als einen „Vertreter des Kremls“, als dieser ihm eine offenbar unbequeme Frage zu einem Vorfall mit einer in Polen aufgefundenen, russischen Rakete gestellt, der von den Behörden lange Zeit unter den Teppich wurde.

Die Diskreditierungsarbeit will die Regierung nun per Gesetz in die Hände einer neunköpfigen Kommission legen, die künftig bewerten soll, ob und mit Blick auf welche Entscheidungsträger Russland seit dem Jahr 2007 (also „rein zufällig“ ab dem Beginn der Amtszeit von Tusk) die polnische Politik beeinflussen konnte. Die Kommission soll vom Parlament eingesetzt werden und mit einer nie dagewesenen Machtfülle ausgestattet sein. Die Wahl erfolgt auf unbestimmte Zeit und, besonders bemerkenswert: die Damen und Herren Kommissionsmitglieder sollen für ihre Tätigkeit nicht zur Rechenschaft gezogen werden können.

Die Unbegrenztheit der Befugnisse der Kommission ist wirklich atemberaubend: So soll sie beispielsweise aus eigener Machtvollkommenheit feststellen können, dass ein Protagonist unter russischem Einfluss gestanden und gegen die Interessen Polens gehandelt hat. Sie darf freischwebend auch Strafen verhängen, wie etwa dass ein „Russlandfreund“ für bis zu zehn Jahre keine öffentliche Funktion mehr bekleiden darf. Das rechtsstaatliche Manko: Es gibt keine Definition dessen, was genau als derart inkriminiertes russophiles Verhalten zu deuten wäre. Die Kommission erhält so einen uneingeschränkten Ermessensspielraum bei der Einordnung von Verdächtigen als russische Agenten – ohne die Möglichkeit, dass die Betoffenen gegen das einmal gefällte Urteil Beschwerde einlegen könnte. Zudem sollen erschreckenderweise nun Personen auch für Handlungen in der Vergangenheit belangt werden können, die zum damaligen Zeitpunkt gar nicht unter Strafe standen. Ein klarer Bruch des fundamentalen Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht. Dieses ist so wichtig, dass es in Deutschland sogar im Grundgesetz verankert ist, konkret in Art. 103 Abs. 2 GG: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde“.

Der Kommentator reflux schreibt zum Themenkomplex in der ZEIT:

So ging es offenbar auch vielen Polen. In Warschau hat am vergangenen Sonntag eine riesige Demonstration stattgefunden. 500.000 Menschen auf der Straße laut Veranstalter, die Polizei spricht von 100.000 bis 150.000. In jedem Fall ist klar: vielen Menschen gefällt der Griff nach der absoluten Macht ganz und gar nicht, den die Regierung sich da vor ein paar Tagen geleistet hat. Zum Protest hatte der besonders im Visier stehende Tusk für seine oppositionelle, liberalkonservativen Bürgerplattform aufgerufen. Andere Oppositionsparteien schlossen sich an. Auch der Friedensnobelpreisträger und einstige Chef der Gewerkschaft Solidarność, Lech Wałęsa, war unter den Demonstranten.

Der Vorgang kratzt auch am öffentlichen Bild des polnischen Staatspräsidenten, der inzwischen von vielen verächtlich nur noch „Kugelschreiber“ genannt wird, eine Marionette des Regierungschefs sei er. „Andrzeju!!! Podpiszesz mi sie na transparencie?“ schreibt jemand auf einen Pappkarton mit einem Pfeil, der zum Unterschreiben auf einer dünnen Linie einlädt. „Andrzej!!! Unterschreiben Sie mein Transparent?“ heisst das. Duda’s Doktorvater, der angesehene Verfassungsrechtler Prof. Dr. Jan Zimmermann, hat öffentlich erklärt, dass er sich für seinen Doktoranden schäme. Dieser promoviere im Verwaltungsrecht, so dass er in der Lage sei, die Tragweite seiner Unterschrift unter diesem maximal demokratiefeindlichen Gesetz erkennen zu können.

Ein echter Demokratieschock ist dieses Gesetz. Manche sprechen schon vom Ende der Demokratie in Polen. Kritik kommt auch von der EU: Der EU-Justizkommissar Didier Reynders bezeichnete die Gesetzesvorlage als „besonders beunruhigend“.

Es ist aber nicht die einzige Gesetzesinitiative, die unter dem Deckmantel der Bekämpfung ausländischer Agenten in Wahrheit einen offenen Angriff auf Bürgerrechte und Verfassung darstellt. Vor wenigen Tagen hat die PiS weitreichende Änderungsvorschläge am polnischen Strafgesetzbuch vorgelegt. Der Entwurf stellt die Weitergabe aller – nicht nur vertraulicher – Informationen unter Strafe, deren Offenlegung den Interessen Polens schaden könnte. Dies soll den Datenaustausch mit allen Ausländern (nicht nur Russen) betreffen, die Fragen der Korruption, Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschenrechte betreffen. Auch Investitionsrisiken oder sogar Meinungen über historische Zusammenhänge könnten unter diese Kategorie fallen. Es drohen mehrjährigen Gefängnisstrafen – selbst wenn der Datenaustausch ohne Absicht, ja sogar unbewußt begangen werden. Dies ist ein Schlag ins Gesicht für die früher so geschätzten Aktivisten der Zivilgesellschaft oder investigative Journalisten – und ganz offensichtlich der Versuch, denjenigen den Mund zu verbieten, deren Meinung von der offiziellen Linie abweichen könnte.

Noch allerdings besteht Hoffnung, die Problemgesetze zu verhindern oder zumindest zu entschärfen. Angesichts massiver Proteste und im Vorfeld der angekündigten Großdemonstration hat Duda, wie die FAZ am 2. Juni 2023 berichtet, noch vor dem Wochenende eine Novelle mit seinen Änderungsvorschlägen vorgelegt, über die in den nächsten Wochen abgestimmt werden soll. Sein Zugeständnis: die besonders kontroverse Ämtersperre und weitere Verbote „zu streichen und nur zu belassen, dass eine Person, von der festgestellt wurde, dass sie unter russischen Einflüssen gehandelt hat, keine Gewähr dafür bietet, im öffentlichen Interesse angemessen tätig zu sein“. Duda’s Entwurf sieht nun auch eine Klagegemöglichkeit vor den ordentlichen Gerichten gegen die autokratischen Entscheidungen der Kommission vor.

Die Opposition wertete die Kurskorrektur des Präsidenten als peinlichen Teilrückzug. Die Kommentare auf dem Twitteraccount des Präsidialamtes überboten sich an Spott und Verachtung zu lesen. Den Versuch einer „Hexenjagd“ auf Oppositionelle durch ein die Gewaltenteilung aushebelndes Gesetz nehmen sehr viele Polen ihrer Regierung sehr übel. Eine derart gut besuchte Demonstration wie die vom vergangenen Sonntag hat Warschau schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen.

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