Samstag, Mai 18, 2024
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Die Nazi-Wurzeln der Studienstiftung des Deutschen Volkes

Theodor Pfizer, seines Zeichens ehemaliger Vorstandsvorsitzender und Ehrenpräsident der Studienstiftung, war bei der Reichsbahn möglicherweise in die Deportationen und den Einsatz von Zwangsarbeitern involviert. Die NSDAP band den „voll verwendungsfähigen“ Beamten in vertrauliche Angelegenheiten ein. Am 1. Mai 1942 wurde Pfizer mit dem Kriedsverdienstkreuz 1. Klasse ohne Schwerter ausgezeichnet. Im Rahmen seiner Entnazifizierung stellte das Spruchkammergericht gleichwohl fest, dass er nicht belastet sei. Dieses gnädige Urteil dürfte Pfizer nach Einschätzung der Gewerkschaft der Eisenbahner vor allem durch die Einschüchterung von Belastungszeugen erreicht haben. Eine Auseinandersetzung mit seiner NS-Historie hat Pfizer, der später als Bürgermeister von Ulm ausgerechnet die Nachfolge des Vaters von Hans und Sophie Scholl antrat, nie öffentlich betrieben. Auch die Studienstiftung, die besonders bedürftige Studenten über ein Sondervermögen einer nach Pfizer benannten Stiftung fördern lässt und die unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeyer steht, scheint sich mit diesen Zusammenhängen noch nicht (öffentlich) befaßt zu haben.

Ein Beitrag von Rechtsanwältin Viviane Fischer

Es ist dies ja eine Zeit, in der wir mit stetig wachsendem Erstaunen das Wackeln eines Grundpfeilers nach dem nächsten beobachten können. Die Studienstiftung des deutschen Volkes ist eine Institution zur Förderung des deutschen intellektuellen Nachwuchses, die zu diesem Behufe die Besten der Besten herauszupicken behauptet. Elitäres Gehabe hat mich zwar schon immer gestört, aber, so dachte ich noch vor der Massnahmen-Krise, das Ganze diente letztlich ja immerhin der Ausbildung und Vernetzung kluger Leute zum Wohle unseres Landes. Persönlich bin ich froh, dass ich selbst stets auf jedwede Förderung verzichtet und alles selbst gezahlt und keinem einzigen Thinktank, keiner Vernetzungsschmiede angehört habe oder angehöre. Insbesondere nicht der Studienstiftung des deutschen Volkes. Der genauere Blick, den Sascha Clauß-Theisohn vom Fight and Soul e.V. in der Sitzung 156 des Corona-Ausschusses in die Vergangenheit dieser Organisation geworfen hat, hat Überraschendes, um nicht zu sagen Unerfreuliches aufgezeigt.

Die Studienstiftung beschreibt sich selbst als „Deutschlands größtes und ältestes Begabtenförderungsnetzwerk“ und „politisch, konfessionell und weltanschaulich unabhängig.“ Ihre Zielgruppe sind Studenten, von denen „nach ihrer Begabung und Persönlichkeit besondere Leistungen im Dienst der Allgemeinheit zu erwarten sind…“ „Besondere Begabung“ so steht es unter dem Stichpunkt Leitbild auf der Webseite der Stiftung „ist mit besonderer Verantwortung verbunden: Verantwortung für die eigene Person, für andere Menschen und für die Welt, in der wir leben.“ Wie verträgt sich dieses Leitbild mit den Anfangsgründen der Stiftung und der für sie handelnden Personen?

An der Gründung der Studienstiftung des deutschen Volkes im Jahr 1925 – zunächst als Abteilung innerhalb der Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft e.V. – war massgeblich der Chemiker Carl Duisberg beteiligt, seines Zeichens langjähriger Generaldirektor der Bayer AG. Duisburg war Aufsichtsrat und geistiger Vater des Zusammenschlusses der deutschen Chemie-Industrie in der „Interessengemeinschaft Farben“, kurz IG Farben. Die IG Farben war wie uns das Handelsblatt wissen läßt „der Konzern, der Hitler den Weltkrieg ermöglichte.“

Jan Pehrke, Vorstandsmitglied der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG), die sich seit den 80er Jahren mit der Geschichte des Bayer-Konzerns befaßt, forderte am 29. September 2011 anlässlich des 150. Geburtstags von Duisberg die Umbenennung von Straßen und den Entzug seiner Ehrenbürgerschaft durch die Stadt Leverkusen. Pehrke schreibt: „Carl Duisberg ging für Profite buchstäblich über Leichen. Wegen seiner Verantwortung für den Einsatz von Giftgas, die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und die enge Zusammenarbeit mit dem Nazi-Regime taugt der ehemalige Bayer-Generaldirektor nicht als Vorbild für künftige Generationen!“

Tatsächlich war das Geschäftsgebaren von Duisberg, wie Pehrke berichtet, von einer bemerkenswert menschenverachtenden Rücksichtslosigkeit. Die Bayer AG vertrieb ab Ende des 19. Jahrhunderts weltweit die Produkte Aspirin und Heroin, letzteres als angeblich harmloses Hustenmittel. Das lukrative Geschäft mit dem Heroin wurde unbeirrt fortgesetzt, auch als Wissenschaftler auf das enorme Suchtpotential hinwiesen. Duisberg, damals Prokurist bei Bayer, äußerte, man müsse die „Gegner mundtot schlagen“. Unter Duisbergs Leitung wurden bei Bayer immer giftigere Kampfstoffe entwickelt, zunächst Phosgen und später Senfgas. Duisberg forderte vehement deren Einsatz. „Ich kann deshalb nur noch einmal dringend empfehlen, die Gelegenheit dieses Krieges nicht vorübergehen zu lassen, ohne auch die Hexa-Granate zu prüfen“, wird Duisberg von boerenlandvogels zitiert. Duisberg lies seine Giftgase an der Front testen, begeistert davon, dass der Gegner gar nicht merken würde, in welcher Gefahr er sich befände. Heute geht die Forschung von 60.000 Toten des von Deutschland begonnenen Giftgaskrieges aus. Im ersten Weltkrieg drang Duisberg mit dem Bemerken „Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien“ auf den Einsatz von belgischen Zwangsarbeitern, worauf das Reichsamt des Innern unter internationalen Protesten circa 60.000 Belgier zur Zwangsarbeit deportierte, ein Vorgeschmack auf von Deutschland später ausgehende Gräueltaten. Die Ruhrbarone berichten in diesem Zusammenhang: „So erörterte Duisberg 1916 ernsthaft den Vorschlag des Kölner Industriellen Heinrich Späth, die Gesichter von Zwangsarbeitern mit einer erst nach Haftverbüßung wieder entfernbaren Spezialfarbe zu bemalen, um Fluchtversuche zu erschweren. Duisberg lehnte den Vorschlag ab, aber nicht aus humanitären Gründen, sondern weil es solche Farben bislang nicht gäbe, die Idee gab er aber an das Militär weiter.“

1917 wurde Duisberg Mitglied der rechtsextremen Deutschen Vaterlandspartei. Er gehörte dem Vorstand des „Unabhängigen Ausschuß für einen deutschen Frieden“ an, einer Gründung des antisemitischen Alldeutschen Verbands. Verlangte er anfangs noch die Annexion besetzter Gebiete in Belgien und Nordfrankreich, so forderte er später frei heraus „deutschen Lebensraum“ in Polen und Russland. Seit spätestens 1930 organisierte Duisberg für die IG FARBEN die Spenden an die NSDAP und trug so zu deren Wahlerfolgen bei. Das Spenden lohnte sich wirtschaftlich für die Verbündete der NSDAP: die IG Farben erhielt im Gegenzug Absatzgarantien für synthetischen Treibstoff und Kautschuk.

1931 erklärte Duisberg: „Fortwährend ruft das deutsche Volk nach einem Führer, der es aus seiner unerträglichen Lage befreit. Kommt nun ein Mann, der bewiesen hat, dass er keine Hemmungen hat, so muss diesem Mann unbedingt Folge geleistet werden.“ Und später liess er verlauten: „Ich freue mich auf einen Lebensabend unter unserem Führer Adolf Hitler.“ Der Lebensabend war kurz, da Duisberg bereits 1935 verstarb. Adolf Hitler selbst kondolierte und bedauerte das Ableben eines Pioniers, Führers und Organisators. Der Name Carl Duisburg werde in Deutschland in Ehren weiterleben.

Pehrke bemerkt abschließend: „Carl Duisberg war ein überzeugter Nationalist, eine Persönlichkeit von patriarchaler Herrschsucht und ein erbitterter Feind der Gewerkschaften. Man kann Duisberg nur als „verbrecherisches Genie“ bezeichnen, das die Moral Zeit seines Lebens dem Geschäftssinn unterordnete.“

Die Ruhrbarone stellen anlässlich einer Umbenennungsdebatte um das Carl Duisberg Gymnasium in Wuppertal fest: „Selbst die Bayer AG verzichtet – mittlerweile – auf eine öffentliche Ehrung Duisbergs anlässlich seines 150. Geburtstages. Eine andere Richtung schlägt – zu unserem Bedauern – das Carl Duisberg Gymnasium in seiner neu erschienenen Festschrift ein, in der es offensiv die Namensgebung verteidigt.“ Das Gymnasium räume in der Festschrift zwar Duisbergs Beteiligung am Gaskrieg und an der Deportation von belgischen Zivilisten zur Zwangsarbeit ein. Es unterschlage aber den Einsatz von Duisberg zur Entwicklung von bakteriologischen Kampfstoffen, sein Eintreten für den unbeschränkten U-Boot-Krieg, für die Annexion von Belgien und Nordfrankreich, seine Forderung nach deutschem Lebensraum im Osten und der Vernichtung von England, seine Mitgliedschaft in der völkischen und antisemitischen Deutschen Vaterlandspartei, seine Mitwirkung bei den geheimen und illegalen Rüstungsprogrammen der Reichswehr Ende der Zwanziger Jahre, die Rolle der IG Farben während des Nationalsozialismus, die großzügige 400.000 Reichsmark Spende für Hitlers Wahlkampf und Duisbergs Mitarbeit in der von Hans Frank 1933 neu gegründeten “Akademie für Deutsches Recht“.

So wenig sich Duisberg für das Wohl und Wehe der Menschen im Allgemeinen bekümmerte, umso interessierter war er an den Entfaltungsmöglichkeiten der deutschen Studenten vermittels deren Förderung durch die (Vorläuferin der) Studienstiftung des Deutschen Volkes, die Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft e. V.

Duisberg ist aber nicht der einzige, der einen langen bräunlich-unansehnlichen Schatten auf die Vorzeigeorganisation Studienstiftung des Deutschen Volkes wirft. Ein weiterer Protagonist ist genau der eingangs erwähnte Theodor Pfizer, der der Stiftung im Zeitraum 1960-1980 vorstand.

Anders als ihre historische Darstellung vermuten lassen würde, scheint die Studienstiftung jedenfalls nach ihrer eigenen Wahrnehmung nicht im Jahr 1934 aufgelöst und 1948 als eingetragener Verein neugegründet worden zu sein. Die Stiftung bedankt sich bei ihrem ehemaligen Vorstand Theodor Pfizer für seine kontinuierliche Tätigkeit für die Studienstiftung im Zeitraum 1925 bis 1990. Auch während der Nazi-Zeit, als die Studienstiftung formal durch die Reichsförderung des Reichsstudentenwerks (RSW) ersetzt worden sein soll, scheint in ihrer Selbstidentifikation ein zumindest faktisches, inhaltlich-personelles Kontinuum bestanden zu haben.

Der Historiker Andreas Lörcher beschreibt Pfizer am 22. März 2012 in seinem in der Südwestpresse erschienen Artikel „Die biografische Lücke“ wie folgt: „… er war ein gehorsamer, karrierebewusster Beamter im Dienste der Nationalsozialisten, ein Trittbrettfahrer in der ersten Klasse.“

Schon mit 19 Jahren tritt der Jura- und VWL-Student Pfizer der illegalen, paramilitärisch organisierten „Schwarzen Reichswehr“ bei, angeblich will er, wie er später im Rahmen seiner „Entnazifizierung“ angibt, mit seinem Einsatz bei der rechtsradikal und antisemitisch geprägten Truppe „drohenden kommunistischen Bewegungen entgegentreten“. Das Gedankengut der Nationalsozialisten scheint ihm aber auch inhaltlich durchaus nicht ganz fern gewesen zu sein: 1940 stellt er einen Aufnahmeantrag bei der NSDAP-Ortsgruppe Gleiwitz-Ring und engagiert sich bei dieser ehrenamtlich. Als Parteimitglied wurde Pfizer trotz seines Bemühens aber nicht aufgenommen „wegen des hohen Anteils der Akademiker unter den Parteimitgliedern“. Das finde ich höchst bemerkenswert, offenbar waren die NSDAP-Mitglieder weniger ein Haufen schlagender Vollproleten als vielmehr ein schlagender Haufen aus allen Gesellschaftsschichten und möglicherweise waren es sogar deutlich mehr gutausgebildete, bessergestellte „Volksgenossen“ als gemeinhin bekannt ist.

Im Zuge seiner „Entnazifizierung“ fiel Pfizer, wie Lörcher berichtet, durch unvollständig und geschickt missverständlich formulierte Angaben in seinem Fragebogen auf, die ihm die Einstufung als „nicht belastet“ einbrachte. Große Proteste aus der Eisenbahnergewerkschaft, insbesondere des Verbandsvorstands des Gewerkschaftsbundes und NS-Widerständlers Karl Molt, machten eine Wiederaufnahme des Verfahrens nötig. Vor dem Gerichtsverfahren hatte Molt geschrieben: „… wir können auch nicht schweigen, wenn Massstäbe nach oben gelinder werden“. In einem Brief an das Verkehrsministerium brachte Molt seine Entrüstung zum Ausdruck. Er schrieb wörtlich: „Dem gesamten Reichsbahnpersonal ist es unverständlich, dass ein solcher Nutznießer des Nazi-Regimes heute nicht nur noch in leitender Stellung sein darf, sondern sogar noch ins Verkehrsministerium berufen wurde und dort nach kurzer Frist, bevor er seine Befähigung nachgewiesen hat, zum Ministerialrat befördert wurde.“ Er glaube, teilte Molt mit, „dass Herr Pfizer sich nie in positivem Sinne zum neuen demokratischen Staat einstellen wird.“

Der entgegen der Gepflogenheiten bei den höheren Reichsbahnbeamten stets in Uniform (auch noch mit SS-ähnlichem Schnitt) gekleidete NSDAP-Anwärter Pfizer sei in Stuttgart „ausschließlich mit den prominentesten Naziführern“ verkehrt. Als Pressedezernent habe Pfizer innerbetrieblich Nazi-Propaganda verbreitet. In einem Rundschreiben vom 16. Juni 1944 habe sich Pfizer „für den Kriegseinsatz, die Kriegsverlängerung und das Nazi-Regime“ stark gemacht. Noch zehn Tage nach der Landung alliierter Truppen in der Normandie schrieb Pfizer vom „Erringen des Endsiegs“, forderte von seinen Bahnbeamten „unbeugsamen Einsatzwillen“ und die „Mobilisierung der letzten Leistungsreserven“. Bei Appellen, so Pfizer, sollten die führenden Bahnbeamten doch bitte „Führerworte, oder kurze Ausschnitte aus den Ansprachen der Herren Reichsminister Goebbels und Staatssekretär Dr. Ganzenmüller verwenden“ (Dr. Ganzenmüller war der Planer der Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager im Reichsverkehrsministerium, Anm. der Redaktion). Dr. Ganzenmüller hatte Pfizer an anderer Stelle überschwänglich für seine Leistungen der Reichsbahn bei „der Lösung der Kriegsaufgaben“ gewürdigt.

Nach eigenem Bekunden will der als „Geheimnisträger“ der Nationalsozialisten verpflichtete Pfizer lediglich eine „Briefträgerarbeit“ in gewissenhafter Erledigung seiner Dienstaufgaben, die nicht von innerer Überzeugung getragen gewesen sei, ausgeführt haben. Kann man das glauben?

Da Prüfungsgegenstand im Spruchkammerverfahren von Theodor Pfizer eher die belegbare politische Gesinnung als seine Funktion und sein konkretes Handeln als Beamter im NS-Unrechtsstaat war, hatte Pfizer’s Verteidigungsstrategie überwiegend Erfolg.

Die Spruchkammer sah Pfizer letztlich weiterhin als unbelastet an. Zu diesem Ergebnis habe es aber nur kommen können, so der Gewerkschaftler Molt, weil diverse Belastungszeugen aus Angst von Aussagen Abstand genommen hatten, da Pfizer sie mit Verleumdungsklagen bedroht hatte und sie daher „nicht zu Unrecht“ schwere Nachteile befürchteten. Mit dieser (laut Molt erpressten) Absolution gelang es Pfizer, im Nachkriegsdeutschland als Ministerialrat im Verkehrsministerium und später Oberbürgermeister von Ulm weiter Karriere zu machen. Als Ulmer Oberbürgermeister trat er irritierenderweise ausgerechnet die Nachfolge von Robert Scholl an, dem Vater der Weisse-Rose-Geschwister Hans und Sophie Scholl, die wegen ihrer Widerstandsflugblätter „wegen landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung“ vom Unrechts-Richter Roland Freisler am 22. Februar 1943 zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag im Gefängnis München-Stadelheim mit dem Fallbeil hingerichtet worden waren.

Die genauere Betrachtung der beruflichen Tätigkeit von Pfizer zeigt, dass er stets an der Schnittstelle zwischen der Reichsbahn und dem NS-Regime agierte. Schon im Jahr 1938 wurde Pfizer mit Aufgaben im Zusammenhang mit den militärischen Kriegsvorbereitungen betraut. Danach arbeitete er am Bau der Reichsautobahn, dem Prestigeprojekt der Nationalsozialisten. Es gelang ihm, schnell in die Oberste Bauleitung der Reichsautobahn in Wien aufzusteigen. Ab März 1941 arbeitete Pfizer an einer wichtigen Schaltstelle der Organisation des Raub- und Vernichtungskriegs in der Sowjetunion und in Osteuropa, der sogenannten Generalbetriebsleitung-Ost in Berlin. Hier wirkten Vertreter des NS-Regimes und der Reichsbahn zusammen, um die Infrastruktur und Logistik in den besetzten Ostgebieten zu organisieren. In der Berliner Generalbetriebsleitung-Ost wurde dabei nicht nur die Versorgung der Front mit Kriegsgütern geplant, von dort aus wurde auch die Deportation von Juden aus dem Deutschen Reich und den Ostgebieten in die Konzentrationslager mit Sonderzügen koordiniert. Als Pressedezernent der Reichsbahn propagierte er Ziele des Nationalsozialismus und wußte um die Zwangsarbeiterlager in Ulm, Plochingen und das Durchgangslager Bietigheim. Während Pfizers leitender Tätigkeit in Stuttgart fuhren vom dortigen Nordbahnhof sieben Züge mit Verfolgten des Nationalsozialismus in die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz ab. Inwieweit er als Dezernatsleiter direkt mit diesen Todestransporten zu tun hatte, bleibt allerdings offen.

Für Lörcher entstand bei der Recherche das Bild eines opportunistischen Trittberettfahrers, der sich zumindest aus Karrierezwecken bei den herrschenden Nationalsozialisten anbiederte. Als Beamter setzte er die Politik Hitlers unwidersprochen um. Den Nachweis, dass er anders als die Nazis dachte, den Pfizer durch den Hinweis auf sein Christentum, sein „ausgebildetes Rechtsgefühl“ und enge Kontakte zum NS-Widerstand zu führen suchte, habe sich, so Lörcher, jedenfalls nicht in seinem Handeln manifestiert. Die behaupteten engen persönlichen Verbindungen zu Widerstandskämpfern bestanden offenbar tatsächlich. Pfizer war während oder seit seiner Schulzeit mit Mitgliedern der Familie Schenk von Stauffenberg befreundet. In einem Schreiben bestätigte Alexander Graf Schenk von Stauffenberg, der Bruder der beiden hingerichteten Widerstandskämpfer des 20. Juli, dass Pfizer dem Nationalsozialismus ablehnend gegenübergestanden habe. Auch das Bundesvorstandsmitglied der CDU Robert Tillmanns, die Witwe des hingerichteten Widerstandskämpfers Friedrich Reck-Malleczewen und weitere Freunde und Bekannte Pfizers betonten in ihren Entlastungsaussagen dessen politische und moralische Ablehnung des Nationalsozialismus. Warum hat Pfizer dann aber nicht seiner angeblichen moralischen Erkenntnis nach gehandelt? Warum ist er vielmehr ein nicht unwichtiges Rad im Getriebe des nationalsozialistischen Unrechts-Regimes geblieben? Grade wegen seiner engen Verbindungen zum offenen Nazi-Widerstand hätte er seiner angeblichen inneren widerständischen Überzeugung durchaus Taten oder eine sabotierende Untätigkeit folgen lassen können.

Auch nach dem Krieg hat Pfizer somit seine Verantwortung als bekennender Christ und moralischer Mensch nicht angenommen und sich kritisch mit seinem Handeln und seiner Verantwortung im Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Lörcher schreibt: „Statt sich seiner Verantwortung zu stellen, versteckte er sich in seiner 19 Seiten umfassenden Erklärung hinter namhaften Freunden und Bekannten aus dem Widerstand, die er als Schüler oder als Bundesbruder in seiner Studentenverbindung kennengelernt hatte. Aus diesen Bekanntschaften leitet er nun die eigene Unschuld ab. Kein nachdenkliches Wort verliert er über die Sklavenarbeiter, für die er die Verantwortung trug, keine Zeile des Bedauerns über die Nazi-Propaganda, die er als Pressedezernent verbreitete, und kein Fünkchen Selbstkritik wegen seiner Bewerbung um Mitgliedschaft in der NSDAP ist in seinem Schreiben zu finden. In seiner Zeit als Ulmer Bürgermeister hat er dieses Verhalten nicht geändert und schwieg sich zeitlebens über Genaueres seiner Biografie während des Nationalsozialismus aus.“

Dieser Theodor Pfizer war es also nun, der 10 Jahre lang der Studienstiftung des Deutschen Volkes vorstand und für dessen Wirken im Zeitraum 1925 bis 1990 die Studienstiftung des Deutschen Volkes sich bedankt. Nach ihm ist die Theodor Pfizer Stiftung benannt, die eng mit der Studienstiftung koopiert. „Der Name der Stiftung erinnert an den langjährigen Vorsitzenden und Ehrenvorsitzenden der Studienstiftung, Professor Dr. h.c. Theodor Pfizer, der in über 60-jähriger Tätigkeit die Arbeit der Studienstiftung geprägt und begleitet hat.“, so die Studienstiftung stolz über ihre Gönnerin. „Ehemalige, Freunde und Mitarbeitende der Studienstiftung haben die Theodor-Pfizer-Stiftung im August 1986 als gemeinnützige Stiftung gegründet, deren ausschließlicher Zweck es ist, die Arbeit der Studienstiftung zu unterstützen.“ Die Theodor-Pfizer-Stiftung verfügt über keine eigene Webseite. Ausweislich der schwer zu findenden Information bei Northdata ist sie erst im Jahr 1994 vom Ministerium anerkannt worden.

Der Studienstiftung des deutschen Volkes gehört auch der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD an, der alljährlich vielen ausländischen Studenten ein Studium in Deutschland und vielen in Deutschland Studierenden durch Auslandssemester einen Blick über den Tellerrand ermöglicht. Ob grade die ausländischen Studenten wissen, dass sie ihre Förderung von einer Organisation erhalten, die sich bis zum heutigen Tage nicht verantwortungsvoll mit den Unrechts-Verstrickungen ihrer wichtigen Gründungsväter und Representanten auseinandergesetzt hat? Hier ist meines Erachtens nicht nur die Studienstiftung in der Pflicht, genauer hinzusehen. Auch ihre Finanziers und Alumniorganisationen täten gut daran, das Problem nicht totzuschweigen. Finanziell wird die Studienstiftung vom Bund, den Ländern und Kommunen, von Stiftungen und Unternehmen sowie privaten Spendern getragen. Der Haushalt der Studienstiftung betrug im Jahr 2020 gut 123 Millionen Euro. Seit ihrem Bestehen hat sie rund 65.000 besonders begabte Studenten und Doktoranden unterstützt; aktuell (Stand 2019) zählt sie mehr als 60.000 Alumni weltweit.

Die Studienstiftung des Deutschen Volkes bietet nicht nur Unterstützung für Studenten sondern auch unzählige Coachings und Fortbildungen vor allem für Behörden, Polizisten und Juristen aber auch Journalisten.

Es finden sich viele Wissenschaftlicher, Politiker, Journalisten, Entertainer und Juristen unter ihren Alumni, die sich während der Corona-Krise für die Maßnahmen ausgesprochen haben. Bekannte Pro-Massnahmen Alumni der Studienstiftung des Deutschen Volkes sind z.B. der ehemalige Ministerpräsident Carl Albrecht, der Nachrichtensprecher Claus Klever, der Leiter und Moderator des Politmagazins Monitor Georg Restle, die Bloggerin Mai-Thi Nguyn-Kim, der Autor Eckart von Hirschhausen. Die Bildzeitung wird unter dem Studienstiftler Reichelt von anderen Studienstiftlern gekauft. Gudrun Ensslin, Horst Mahler und Ulrike Meinhof und weitere RAF Mitglieder sind Alumni der Stiftung. Von der RAF ist ja inzwischen bekannt, dass sie ebenso wie die NPD in weiten Teilen vom Verfassungsschutz durchsetzt war. Carla Reemtsma wurde ebenfalls von der Studienstiftung gefördert und gründete Fridays for Future. Auch bei der WHO und der weiteren Massnahmengefolgschaft mischen Studienstiftler mit. Aber vermutlich alles nur ein reiner Zufall.

Die Theodor Pfizer Stiftung verfügte in 2021 über ein Vermögen in Höhe von 13, 8 Millionen Euro, nachdem in 2021 noch einmal € 345.000 zugewendet worden waren. „Die Erträge aus dem Vermögen der Theodor Pfizer Stiftung zur Unterstützung der Studienstiftung des deutschen Volkes ermöglichen es der Studienstiftung,“ so schreibt diese „Stipendiatinnen und Stipendiaten bei ungewöhnlichen Vorhaben oder in Härtefällen individuelle Unterstützung jenseits staatlicher Richtlinien zu gewähren.“ Und weiter: „Unter dem Dach der Pfizer Stiftung leisten inzwischen auch drei unselbstständige Stiftungen – die Behr’sche Stiftung, die Dr. Papenhoff-Meyenburg Stiftung sowie die Studienstiftung Professorin Rübsamen- Schaeff – Unterstützung für Stipendiatinnen und Stipendiaten mit besonderen Vorhaben“. Ob die Vorstände dieser drei Stiftungen wissen, wer Theodor Pfizer war und ob sie sich nicht auch eine öffentliche Aufarbeitung seiner historischen Verstrickungen wünschen würden? Wie ist insoweit der Kenntnisstand von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann, Vorsitzender des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und aktueller Vorstand der Theodor Pfizer Stiftung? Und was weiss der Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, unter dessen Schirmherrschaft die Studienstiftung des deutschen Volkes seit dem Frühjahr 2017 steht, über die Historie von Theodor Pfizer?

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