Samstag, November 9, 2024
LänderberichtePraxisdurchsuchungen wegen Maskenattests in aller Regel rechtswidrig

Praxisdurchsuchungen wegen Maskenattests in aller Regel rechtswidrig

Richter am Landgericht Dr. Pieter Schleiter und Staatsanwalt Thomas Barisic vom Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte haben sich in einem Fachartikel mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit Durchsuchungen bei Ärzten wegen des Verdachts des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse durch sogenannte Maskenatteste rechtmässig sind. Ihre Erkenntnis: so gut wie nie.

Wer aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen kann, kann – so die Regelung in allen Corona-Verordnungen – von der Maskentragungspflicht durch ärztliches Attest befreit werden.

Die Autoren führen aus: „Die jeweiligen Corona-Verordnungen der Bundesländer sehen ein solches Attest explizit vor. Viele Gerichte haben den Umstand, dass sich Menschen mit gesundheitlichen Problemen durch derartige Atteste von der Pflicht zum Tragen von Masken befreien lassen können, zu Recht als bedeutsam dafür angeführt, dass dieses Gebot auch im Einzelfall angemessen und daher verfassungsgemäß ist. Es muss daher im Praxisalltag der Ärzte die reale und auch wahrgenommene Möglichkeit bestehen, derartige Atteste auszustellen, ohne sich der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen.“

Im Alltag erleben die Maskenbefreiten – entgegen dem Diskriminierungsverbot – jedoch oftmals, dass ihre Atteste von der Polizei, von Ordnungskräften, von Ladeninhabern etc. nicht akzeptiert werden. Ohne jeden Anhaltspunkt wird vermutet, sie seien in Wahrheit „Maskenmuffel“, die gesundheitlichen Gründe bestünden nicht, das Gesundheitszeugnis sei gefälscht oder lediglich aus Gefälligkeit erstellt worden. In anderen Ländern, z.B. Großbritannien kommt so etwas quasi nicht vor. Dort genügt vielfach allein die mündliche Versicherung, befreit zu sein, ein vorgelegtes Attest wird anstandslos akzeptiert.

Wiederholt ist es zur Beschlagnahme von Maskenattesten und auch zur Durchsuchung von Praxisräumen durch die Polizei gekommen, mit dem Ziel, Beweise für die angenommene Fälschung von Gesundheitszeugnissen zu finden.

Ein Grund für eine Durchsuchung, ein Anfangsverdacht für eine Straftat wurde speziell dann postuliert, wenn der Wohnort des Attestinhabers räumlich stark vom Praxissitz abwichen. Macht diese Annahme jedoch Sinn?

Die Autoren verneinen dies: „Viele Ärzte fürchten inzwischen repressive Maßnahmen der Behörden vom Strafverfahren bis zur Praxisschließung und Entziehung der Approbation für den Fall, dass sie Befreiungsatteste ausstellen und schicken Patienten lieber mit der Bitte um Verständnis, dafür ohne Attest, wieder weg. Dem unter einer Maskenunverträglichkeit leidenden Patienten, dem sein Hausarzt das Attest verweigert, bleibt nun nichts anderes übrig, als sich einen Arzt zu suchen, der sich nicht von der Sorge um berufliche und persönliche Nachteile unter Druck setzen lässt, und einen solchen wird er kaum finden, indem er von Praxis zu Praxis läuft, sondern zum Beispiel in Internet-Foren, in denen sich die Namen attestierungsbereiter Ärzte herumsprechen. Somit ist es ein einfacher rechnerischer Vorgang, dass sich bei der immer kleiner werdenden Gruppe dieser Ärzte eine Vielzahl von Patienten sammelt, deren größter Teil bislang noch nicht zum Patientenkreis gehört hatte, und die aus den genannten Gründen nicht unter Generalverdacht gestellt werden dürfen, „Corona-Leugner“ und Simulanten zu sein. Spiegelbildlich können diese Ärzte auch zunehmend von einem echten gesundheitlichen Anliegen solcher Neupatienten ausgehen, was sich jedenfalls auf den nach § 15 StGB erforderlichen Vorsatz auswirkt (vgl.u.)…. Ab dem Zeitpunkt, in dem die ersten Repressalien gegen Ärzte bekannt wurden, gibt allein der Umstand, dass sich Neupatienten bei bestimmten im Internet benannten Ärzten sammeln, nichts mehr zur Begründung des Anfangsverdachts her.“

§ 102 StPO ermächtigt, aufgrund gerichtlicher Anordnung (§ 105 StPO) Durchsuchungen von Wohnungen und anderen Räumen von Personen, die einer Straftat verdächtig sind, vorzunehmen, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen wird.

Die Autoren führen insoweit aus: „Bei lebensnaher Betrachtung wird man Patientenakten finden, in denen Beschwerden eines Patienten, eine Diagnose und eine hierauf folgende ärztliche Behandlung, Verschreibung oder ein Attest dokumentiert sind. Derjenige Arzt, der wissentlich falsche Atteste ausstellt, wird aller Voraussicht nach gut darauf achten, dass er alles stimmig dokumentiert. Die Abwesenheit einer Dokumentation für sich genommen belegt noch kein strafbares Verhalten. Was will man daraus schließen? Auch kann die Dokumentation aus Zeitdruck oder aus Versehen unterblieben sein. Es erscheint fernliegend, dass in der Arztpraxis schriftliche Vermerke gefunden werden, die ein strafbares Verhalten offenkundig dokumentieren, wie etwa: „Der neue Patient Herr X bat telefonisch um Erteilung eines Befreiungsattestes. Ein von Herrn Dr. A. unterzeichnetes Blankoattest wurde ihm ohne erforderliche Untersuchung nebst Rechnung übersandt.“

Neben der zu erwartenden Ergebnislosigkeit der Hausdurchsuchung thematisieren die Autoren auch deren vermutliche Unverhältnissmässigkeit.

„Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dabei auf zwei Ebenen anzuwenden: Erstens muss die Intensität des Eingriffs zum Gewicht der Straftat, die es zu verfolgen gilt, in einem angemessenen Verhältnis stehen. § 278 StGB sieht die Strafandrohung einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vor. Dies entspricht der Strafandrohung etwa für eine Sachbeschädigung oder eine tätliche Beleidigung, die allgemein eher als Bagatelldelikte betrachtet werden. Das BVerfG spricht übrigens von einer die Unverhältnismäßigkeit einer Durchsuchung indizierenden Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, wenn diese keine höhere Strafandrohung als fünf Jahre aufweist (BVerfG, Beschl. v. 29.01.2015 – 2 BvR 497/12 Rn. 19).

Die zweite Ebene, auf der die Verhältnismäßigkeit zu prüfen ist, ist das Verhältnis zwischen der Intensität des Eingriffs und dem Grad des Tatverdachts. Dies ist das eigentliche Korrektiv zu dem niedrigen Verdachtsgrad, der nach dem Wortlaut des § 102 StPO eine Durchsuchung auslösen kann. In ständiger Rechtsprechung stellt das BVerfG zu dieser Problematik ausdrücklich klar (u.a. BVerfG, Beschl. v. 16.12.2014 – 2 BvR 2393/12 – Rn. 23 m.w.N. – Hervorhebung durch Verf.): „Die Durchsuchung muss schließlich vor allem in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen.“

Der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Anmerkung der Redaktion) fordert darüber hinaus jedenfalls bei geringfügigen Delikten eine gewisse Subsidiarität der Durchsuchung und verlangt, zunächst zu deren Vermeidung zu milderen Ermittlungsmaßnahmen wie Zeugenvernehmungen zu greifen (EGMR, Urt. v. 28.04.2005 – 41604/98 – NJW 2006, 1495).“

Bei der Durchsuchung von Praxisräumen sind dabei, so die Autoren, noch einmal strengere Massstäbe anzulegen: „Ein Arzt ist ein Berufsgeheimnisträger, dessen Patientenunterlagen durch das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO besonders geschützt sind. Allerdings gilt das Beschlagnahmeverbot nicht, soweit der Arzt selbst Beschuldigter eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ist. Gleichwohl spielt der Umstand, dass die Ermittlungsbehörden in die ärztliche Schweigepflicht eingreifen, auch in solchen Fällen eine Rolle, und zwar wiederum über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Das BVerfG hat in einem Fall, in dem der Ermittlungsrichter die Durchsuchung einer Arztpraxis wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges angeordnet hatte, ausgeführt (BVerfG, 21.01.2008 – 2 BvR 1219/07 Rn. 16): „In Anbetracht des relativ geringen Betrugsschadens und der Tatsache, dass ein kaum über bloße Vermutungen hinausreichender Tatverdacht bestanden hat, war die Durchsuchung der Arztpraxis unverhältnismäßig. Die Verdachtsgründe bewegten sich im Grenzbereich zu vagen Anhaltspunkten oder bloßen Vermutungen, die eine Durchsuchung unter keinen Umständen rechtfertigen konnten. Hinsichtlich der Schwere der vorliegenden Straftat ist von Bedeutung, dass der konkrete Sachverhalt keine schwere Tat oder den Eintritt schwerer Tatfolgen erkennen lässt. In die Verhältnismäßigkeitserwägungen hätte auch eingestellt werden müssen, dass mit der Durchsuchung der Praxisräume empfindliche Daten Dritter (anderer Patientinnen der Beschwerdeführerin) gefährdet waren.“

Die Autoren stellen fest: „Diese Erwägungen gelten auch für die hier in Rede stehenden Fälle. Bei einer Sicherstellung des Datenbestandes und der Patientenunterlagen eines Arztes geraten sensible Gesundheitsdaten oft hunderter zumeist nicht betroffener Patienten in die Hände der Ermittlungsbehörden. Dies stellt in jedem Einzelfall einen Eingriff in deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dar, wobei bereits die Information geschützt ist, dass jemand Patient in einer bestimmten Arztpraxis ist. Zudem wird bei einer polizeilichen „Razzia“ das Vertrauen nicht nur des Patientenstammes, sondern auch der Allgemeinheit im Einzugsbereich der betroffenen Arztpraxis in einer Weise beschädigt, die oft zu einer nicht wiedergutzumachenden Rufschädigung führen dürfte. Auch die Folgewirkungen sind zu bedenken. Werden Praxisdurchsuchungen bereits im niederschwelligen Bereich des Verdachtsgrades angeordnet, werden kaum noch Ärzte bereit sein, rechtmäßige Maskenatteste auszustellen. Hierunter leiden wahrhaft bedürftige Patienten.“

Ihr FAZIT in der Zusammenschau:

1. Es fehlt regelmäßig am erforderlichen Anfangsverdacht einer Straftat nach § 278 StGB, da dem Arzt weder ein Vorsatz hinsichtlich einer Vorlage bei einer Behörde noch positives Wissen der Unrichtigkeit seines Attestes unterstellt werden kann.

2. Sollte sich aufgrund bestimmter Umstände (z.B. Ausstellung einer auffällig großen Zahl von Attesten an ortsfremde Patienten) ein Anfangsverdacht ergeben, wird die Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung in der Regel wegen des geringen Gewichts der Straftat oder des geringen Grades ihres Verdachts scheitern, jedenfalls dann, wenn zuvor nicht alle milderen Ermittlungsmaßnahmen ausgeschöpft wurden. Beide Umstände können einen derart schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hunderter Patienten und in die Sphäre eines Berufsgeheimnisträgers mit der wahrscheinlichen Folge einer irreparablen Rufschädigung regelmäßig nicht rechtfertigen.

3. Durchsuchungen bei Ärzten, die wegen der Ausstellung derartiger Atteste in den Fokus der Ermittlungsbehörden geraten sind, sind aus den vorgenannten Gründen – von besonderen Einzelfällen abgesehen – regelmäßig rechtswidrig.

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