Mittwoch, Mai 8, 2024
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Juristische Posse am AG Garmisch: Unbeteiligter Richter Prestien soll Kosten tragen

Eine Bewertung von Erik R. Fisch

Die Verfahren nach § 1666 BGB treiben immer neue juristische Blüten. In Garmisch-Partenkirchen soll eine Anregung gem. § 1666 BGB von den Eltern „zurückgezogen“ worden sein. Kosten will der Richter den Eltern nicht auferlegen. Die Kosten soll nun vielmehr der am Verfahren gänzlich unbeteiligte ehemalige Familienrichter Hans-Christian Prestien tragen. Dieser habe durch Bereitstellung von Mustertexten verschuldet, dass es überhaupt zum Verfahren gekommen sei. Die Begründung der aussergewöhnlichen Kostengrundentscheidung vom 3. Mai 2021 ist 12 Seiten lang und unter diversen Aspekten rechtsfehlerhaft.

Das Verfahren in Garmisch-Partenkirchen war von einem getrennt lebenden Elternpaar angeregt worden. Grund war die zumindest vom Vater befürchtete Gefährdung seiner Kinder durch die Masken-, Abstands- und Testpflicht an der Schule.

Der Familienrichter Dr. Kirsch hat ausgeführt, dass sich eine Befragung der Eltern durch die „Rücknahme“ ihrer Anregung, die sich angeblich über deren Auswirkung nicht im Klaren gewesen seien, erledigt habe.

In eine inhaltliche Prüfung, ob eine Kindswohlgefährung vorliege, ist Dr. Kirsch nicht eingestiegen. Rechtsfehlerhaft scheint er davon auszugehen, dass er im Rahmen von § 1666 BGB möglicherweise auch durch den „Rückzug“ der Eltern nicht mehr zu einer solchen Prüfung berechtigt oder gar verpflichtet sei. Ein Verfahren, das durch eine Anregung gem. § 1666 BGB einmal in Gang gebracht worden ist, steht jedoch nicht mehr zur Disposition der anregenden Beteiligten. Dies ergibt sich aus dem Schutzzweck der Norm: ab Kenntniserlangung von den möglicherweise kindswohlgefährdenden Umständen ist der Richter zur Durchführung eigener Ermittlungen verpflichtet. Es steht dem Richter nicht frei, z.B. im Falle der Kenntniserlangung von einem zu befürchtenden sexuellen Missbrauch das Verfahren einfach einzustellen, weil ihm ein Beteiligter mitteilt, er wolle seinen Hinweis ungeschehen machen. Wollte man eine derartige Wirkung einer Anregungs-Rücknahme zulassen, so wäre ein hochgefährdetes Kind schutzlos gestellt.

Dr. Kirsch thematisiert selbst, dass es sich bei dem Verfahren gem. § 1666 BGB um ein entsprechende Ermittlungspflichten auslösendes Amtsverfahren handelt. Er handelt jedoch nicht nach dieser Erkenntnis. Dr. Kirsch hätte sich unter Ausübung pflichtgemässen Ermessens davon überzeugen müssen, dass keine Gefährdungslage besteht. In seine Prüfung hätten dabei auch die gerichtsbekannten Bewertungen der Sachverständigen, die in Weimar Grundlage der eine Gefahrenlage bejahenden Entscheidung waren, einfliessen müssen. Richter Dr. Kirsch selbst nimmt in seiner Beschlussbegründung auf den Weimarer Beschluss des Familienrichters Christian Dettmar Bezug. Er schreibt: „Die im Beschluss des Amtsgerichts Weimar vertretene Auffassung, es sei aufgrund des Gleichheitssatzes verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, solche Fragen den Verwaltungsgerichten zu überlassen, verkennt die grundlegende Gerichtsverfassung der Bundesrepublik.“

Rechtsirrig führt Dr. Kirsch aus: „Anordnungen der Schulverwaltung zu Hygienekonzepten an einer Schule unterliegen allein der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte. Es sind Maßnahmen, die im Verhältnis des Staates (hier der Schulverwaltung) zu seinen Bürgern (hier Eltern und Schüler) getroffen werden. Das sind sogenannte öffentlich-rechtliche Maßnahmen, für deren Überprüfung in unserer Rechtsordnung allein die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Derartiges ist Basiswissen jedes ausgebildeten Juristen.“

Zum Basiswissen eines aktiven Familienrichters, der mit Blick auf die ihm schutzbefohlenen Kinder ein besonderes Wächteramt bekleidet, dürfte es allerdings gehören, dass für Kinder nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers Sonderrechte gelten, die z.B. ein rasches und gleichsam „unbürokratisches“ Eingreifen der Gerichte zur Abwehr von akuten Gefahrensituationen ermöglichen oder sogar verlangen. Keineswegs handelt es sich bei der Ausfüllung der familienrichterlichen Wächterposition mit Bezug auf infektionsrechtliche Anordnung gegen Schulen oder Lehrer um einen ausbrechenden Rechtsakt wie der von Richter Dr. Kirsch in Bezug genommene Verwaltungsgerichtshof München am 16.04.2021 zu Aktenzeichen 10 CS 21.1113) seinerseits rechtsirrig festgestellt hatte. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist diesem juristischen Irrweg mit seiner jüngsten Entscheidung inzwischen entgegengetreten.

Gradezu im „juristischen Lalaland“ dürfte die Kostenüberwälzungs-Entscheidung von Dr. Kirsch auf seinen ehemaligen Richterkollegen Hans-Christian Prestien zu verorten sein.

Dr. Kirsch stellt fest: „Die Kosten einschließlich gerichtlicher Auslagen des Hauptsacheverfahrens 1 F 128/21 und des Eilverfahrens 1 F 125/21 trägt als nicht beteiligter Dritter Herr Hans-Christian Prestien. … Gem. § 81 Abs. 4 FamFG könnten auch einem nicht am Verfahren beteiligten Dritten Kosten auferlegt werden, sofern die gerichtliche Tätigkeit durch den Dritten veranlasst worden ist und diesen ein grobes Verschulden trifft. „Veranlassung“ meint nicht nur die Anregung an das Gericht, ein Verfahren einzuleiten, sondern auch das Schaffen dessen Voraussetzungen (Bahrenfuss/Wittenstein, FamFG § 81 Rdn. 28).“

Weiter führt Dr. Kirsch aus: „Der zu den Kosten verpflichtete Herr Prestien ist Familienrichter im Ruhestand seit zehn Jahren. Der Kostenverpflichtete hat ein bis ins Detail ausgearbeitetetes Muster im Internet zum Download angeboten, das nur durch wenige personalisierende Ergänzungen ausgestaltet werden muss. Ohne seinen Beitrag wäre es nicht zu dem hier zu entscheidenden konkreten Verfahren gekommen … Er hat auf seiner Website „ABC-Kindesvertretung“ ein Muster für eine Anregung nach §§ 1666 Absatz 1,4 BGB wegen Kindeswohlgefährdung ins Netz gestellt und ruft dazu auf, Meldung an das jeweils zuständige Familiengericht zu machen wegen einer derzeit „bestehenden nachhaltigen Gefährdung des körperlichen, seelischen und geistigen Wohls von Kindern“ und hat diese Anregung als Download auf seine Seite gestellt.“

Die Annahme einer Haftung für ein zum Download zur Verfügung gestellten Formulars für Gerichtskosten überrascht. Mit der gleichen Logik könnte man ja grundsätzlich auch die zahlreichen Herausgeber der juristischen Mustertexte in Anspruch nehmen, wenn eine auf deren Textbausteinen fussende Klage zur Einreichung gelangt.

Allerdings, so Richter Dr. Kirsch, läge hier ein besonderes Verschulden vor: „Der Kostenverpflichtete hat das Tätigwerden des Gerichts auch grob schuldhaft veranlasst, weil er den Adressaten den Eindruck vermittelt, Familiengerichte seien befugt, die in der Anregung konkret beantragten Maßnahmen im Eilverfahren und Hauptsacheverfahren gegenüber Schulen und Lehrern bzw. Schulbehörden anzuordnen. Grobes Verschulden schließt Vorsatz (doloses Verhalten) ein. Die vorbereiteten Muster sind zielgerichtet darauf ausgerichtet, eine möglichst große Anzahl von Eltern und Angehörigen bzw. andere nahestehenden Personen von Kindern zu motivieren, derartige Verfahren nach § 1666 BGB in Gang zu setzen.“

Die Ausführungen von Dr. Kirsch sind gegenstandslos, weil es wie aufgezeigt ja grade zutrifft, dass die Familiengerichte befugt und bei Bejahung einer Kindswohlgefährdung sogar verpflichtet sind, entsprechende Anweisungen zu erteilen.

Demgemäß kommt Richter Prestien nicht als Kostenschuldner im fraglichen Verfahren in Betracht.

Hinsichtlich seiner Motivationslage bezüglich der offensichtlich rechtsgrundfreien Entscheidung beeilt sich Dr. Kirsch auszuführen: „Dabei ist, um es ausdrücklich zu sagen, nicht die Grundeinstellung, dass im Rahmen der Pandemiebekämpfung Kindern und Jugendlichen Maßnahmen zugemutet werden, die in den Augen der Anregenden oder des Kostenverpflichteten als gefährdend angesehen werden, Anlass für den Verschuldensvorwurf. Nicht die kritische Grundeinstellung zu den auf Kinder bezogene Maßnahmen der Pandemiebekämpfung, nicht die kritische Grundhaltung gegenüber der schulischen Umsetzung und der darin liegenden Belastung für minderjährige ist Grundlage dieser Entscheidung.“

Angesichts der Rechtsferne der Entscheidung von Dr. Kirsch liegt die Vermutung nahe, dass es sachfremde Erwägungen gewesen sein müssen, die die Entscheidung befördert haben, ob dies die kritische Grundeinstellung von Richter Prestien war oder andere Aspekte, weiss nur Dr. Kirsch allein.

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