Donnerstag, Dezember 19, 2024
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Kritische Leser und ein „zahnloser Tiger“

Von Tilo Gräser

Vom wachsenden Zweifel der Bürgerinnen und Bürger an den etablierten Medien zeugt unter anderem die gestiegene Zahl der Beschwerden an den Deutschen Presserat. 4085 Beschwerden und damit fast doppelt so viele wie im Vorjahr (2175) gingen 2020 ein, wie es im aktuellen „Jahresbericht“ des Gremiums heißt. Zu den Ursachen gehört die am 11. März 2020 ausgerufene Covid-19-Pandemie, die seitdem die Gesellschaft und damit auch die Medien beherrscht. Die „auf Rekordniveau gestiegenen Beschwerden“ zeigen laut Presseratssprecher Sascha Borowski, dass die Leser „klare und verlässliche Fakten“ wünschen. Sie hätten sich „besonders häufig“ an den Presserat gewandt, wenn sie am Wahrheitsgehalt der Berichterstattung zweifelten. Das erklärte Borowski aus Anlass des am 23. Februar vorgestellten „Jahresberichts 2020“ des Gremiums. Zugleich zeigt sich, dass dieses Gremium nicht mehr als ein „zahnloser Tiger“ ist und die von ihm ausgeübte „freiwillige Selbstkontrolle“ nur eine Alibifunktion hat.

Der 1956 gegründete Deutsche Presserat bezeichnet sich selbst als „Freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien und deren Online-Auftritte in Deutschland“. Fundament des Gremiums ist der Verein mit vier Mitgliedsorganisationen: Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), Deutscher Journalisten-Verband (DJV), Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Sie haben gemeinsam den Pressekodex erstellt, der ethische Standards für den Journalismus in der Bundesrepublik beschreibt und als Orientierungsrahmen gilt.

Die Mehrzahl der Leserbeschwerden richtete sich laut Presseratssprecher Borowski „etwa gegen die in den Medien genannten Infektionszahlen, unterschiedliche Szenarien zur Sterblichkeit, aber auch gegen Berichte, die über die Beweggründe von Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen informierten“. Im Jahresbericht heißt es dazu: „Kritik an der Berichterstattung über die Corona-Pandemie wies der Presserat überwiegend zurück: Bei 80 Prozent der bereits entschiedenen Beschwerden zu diesem Thema lag kein Verstoß gegen den Pressekodex vor.“ 

Zweifel am Wahrheitsgehalt der Berichte

581 Leser baten den Angaben nach den Presserat im vergangenen Jahr um eine Einschätzung zu Presse- und Online-Berichten über die Corona-Pandemie. Es seien 398 Artikel zu diesem Thema geprüft worden, heißt es, wobei sich teilweise auch mehrere Leser über dieselben Beiträge beschwert hätten. 321 Beschwerden seien  bereits entschieden, die restlichen 77 befinden sich laut Bericht noch im Verfahren, da sie erst nach den Fristen für die letzte Sitzung im Dezember 2020 eingereicht wurden.

„Die meisten Personen, die sich zum Thema Corona an den Presserat wandten, äußerten Zweifel am Wahrheitsgehalt der Berichterstattung“, heißt es in dem Bericht: „Etwa drei Viertel der vom  Presserat geprüften Beiträge zur Pandemie bezogen sich auf die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex. So baten etliche Leserinnen und Leser um Prüfung, ob Redaktionen die Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen oder die vom Robert Koch-Institut genannten Zahlen und Begriffe korrekt wiedergegeben hatten.“ Diese Beschwerden seien mehrheitlich in der Vorprüfung abgewiesen worden, da die betroffenen Medien ihre Quellen angegeben und sauber gearbeitet hätten, so das Gremium. „Kleinere Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht sah der Presserat hingegen in Ungenauigkeiten bei der Verwendung des Quarantäne-Begriffs oder wenn Medien die behördlichen Warnstufen falsch eingeordnet hatten.“

Dafür kritisierte der Presserat unter anderem die Bild-Berichterstattung über eine angeblich „grob falsche“ Studie des Virologen Christian Drosten zur Ansteckung bei Kindern. Aus Sicht des Presserats hatte die Redaktion dabei verschwiegen, dass es sich um eine sogenannte Vor-Veröffentlichung handelte, deren Ergebnisse noch nicht von Fachleuten überprüft waren. Das Gremium sah laut dem Bericht im Weglassen dieser Information einen „schweren Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht“ und erteilte eine Rüge – „zumal der Artikel dem Virologen unterstellte, er habe womöglich Tatsachen unterdrückt“. 

Als „schweren Verstoß gegen den Pressekodex“ habe der Rat zudem Beiträge eingeschätzt, in den angeblich falsche Hoffnungen zum Umgang mit dem Virus Sars-Cov-2 geweckt worden seien. Das richtete sich aber nicht gegen die meist unkritisch wiedergegebenen Versprechungen von Pharmaunternehmen und Politik in der Impfkampagne, sondern beispielsweise gegen ein Interview mit einem „Heiler“ über mögliche Immunisierungen gegen das Virus. Das Gremium wandte sich zudem gegen Berichte, in denen Corona-Infizierte erkennbar wurden, ohne dass ein öffentliches Interesse an deren Identität bestand.

Blind für Diffamierung kritischer Stimmen

Den größten Teil der Beschwerden wies der Presserat „als offensichtlich unbegründet ab, weil bereits in der Vorprüfung feststand, dass hier keinerlei Anhaltspunkte für eine Verletzung des Pressekodex vorlagen“. Dazu gehörten dem Bericht nach Beschwerden über Berichte, in denen Teilnehmer von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen als „Verschwörungstheoretiker“ oder „Corona-Leugner“ bezeichnet wurden und die Leser für falsch bzw. ehrverletzend hielten. Das Gremium wies Vorwürfe zurück, „manche Medien hätten reißerisch berichtet – etwa über drohende Versorgungsengpässe oder mögliche Todesopfer“ Aus Sicht des Presserates sind „auch plakative Überschriften und Texte“ zulässig, „solange sie einen Tatsachenkern enthalten bzw. transparent wird, ob es sich hier um Szenarien handelt“. Woran die Leser das erkennen können, wird nicht erwähnt.

Laut Sprecher Borowski ist bestätigt worden, „dass die an den Pressekodex gebundenen Medien sich überwiegend an die Sorgfaltspflicht halten bzw. Fehler zügig und nachvollziehbar korrigieren“, so Borowski. Der Presserat hat laut seinem Sprecher deutlich gemacht, dass er nicht beurteilt, ob eine Meinung „richtig” oder „falsch” ist. Gegenüber der Nachrichtenagentur DPA sagte Borowski: „Wir haben schon den Eindruck, dass auch viele Corona-Skeptiker mit dabei sind. Es gibt zum Beispiel auch Aufrufe in einschlägigen Gruppen des Sozialen Netzwerks Telegram, sich über die Berichterstattung beim Presserat zu beschweren. So etwas landet dann auch bei uns.“ Das Gremium würden auch ungewöhnlich viele Schreiben erreichen, für die der Rat nicht zuständig war, so zum Beispiel Beschwerden über journalistische Beiträge in Fernsehen und Radio.

Zu den Sanktionen, die der Rat verhängen kann, zählen ein Hinweis, eine Missbilligung und die Rüge als härteste Folge. Eine öffentliche Rüge muss die betroffene Redaktion in einer ihrer nächsten Ausgaben veröffentlichen. Die Zahl der Rügen stieg dem Bericht nach im vergangenen Jahr auf 53 an, (2019: 34). Die Mehrheit der 2020 ausgesprochenen Rügen (24) wurde gegen Boulevardzeitungen verhängt, gefolgt von Zeitschriften (16), Regionalzeitungen (11) und überregionalen Blättern (2). Der Großteil der Presseverlage in Deutschland hat sich den Angaben zufolge verpflichtet, öffentliche Rügen des Rats zu veröffentlichen. Laut dem jüngsten Jahresbericht des Gremiums kamen dieser Selbstverpflichtung 2020 jedoch weniger Medien nach als im Vorjahr: Jede dritte Rüge blieb demnach unveröffentlicht.

Fehlende Autonomie der Kontrolleure

Sprecher Borowski bezeichnete das gegenüber der DPA als „höchst bedauerlich, weil die freiwillige Selbstkontrolle davon lebt, dass die Medien, die sich dieser Kontrolle unterwerfen, dann auch tatsächlich den Regeln folgen.“ Wenn ein Medium eine Rüge nicht veröffentliche, dann sei das bedauerlich, „weil es das ganze System dann auch sprengt“. Borowski appellierte, die Rügen zu veröffentlichen. Auf die Frage, ob härtere Sanktionen eingeführt werden sollten, sagte der Sprecher laut DPA: „Der Presserat ist so, wie er jetzt ist, richtig aufgestellt. Wir sind ein Kollegengremium und kein Gericht.“ Darum verhänge der Rat keine finanziellen Strafen. „Wir appellieren an und wir beraten Medien und wir machen deutlich, wenn eine Berichterstattung nicht unseren ethischen Normen entspricht. Das ist die Rolle des Presserats.“

Die Beschwerden an den Presserat erweisen sich nur als ein schwaches Mittel der Leser, sich gegen Fehler oder gar falsche Berichte und Tatsachendarstellungen zu wehren. „Verletzt eine Redaktion wiederholt ethische Prinzipien, bewirkt sie im schlimmsten Fall einen Vertrauensverlust gegenüber den Medien insgesamt“, so Borowski. Dieser Vertrauensverlust kann sich allerdings in sinkenden Auflagen zeigen. „Dies gilt nicht nur für die Berichterstattung über Opfer von Straftaten, sondern in einem hohen Maße auch bei der Vermischung von redaktionellen und interessengeleiteten Inhalten.“ Gerade in der Berichterstattung zur politisch verursachten Corona-Krise ist Letzteres mehr als deutlich der Fall. In mehreren Studien haben Kommunikationswissenschaftler nachgewiesen, dass sich die etablierten Medien – auch jene am Presserat beteiligten – in der Pandemie eher als Sprachrohr der Regierungspolitik denn als sachliche und notfalls kritische Beobachter zu erleben sind.

Gremien wie die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Sender oder der Presserat mit seinem Prinzip der freiwilligen Selbstkontrolle können nicht anders bezeichnet werden als „zahnlose Tiger“. Schon 1993 kam Jessica Eisermann vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) in einer Untersuchung zu dem Ergebnis: „Der Presserat ist im Griff der Interessenverbände, der Verleger und Journalistenorganisationen. Die Selbstkontrolle eines Systems setzt aber voraus, dass die Kontrolleure gegenüber jenen, die kontrolliert werden sollen, ein Mindestmaß an Autonomie besitzen.“ An dem Zustand hat sich kaum etwas verändert, was sich umso deutlicher in der politisch verursachten Corona-Krise zeigt. Die eng mit der regierenden Politik verbundenen etablierten Medien werden sich nicht selber für das kritisieren, was sie an einseitiger Propaganda und auch an Diffamierung von regierungskritischen Stimmen veröffentlichen und verbreiten.

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