Freitag, April 19, 2024
Nicht kategorisiertPolitische Angstmache mit Inzidenz-Wahn

Politische Angstmache mit Inzidenz-Wahn

Von Tilo Gräser

Ich muss gestehen, es fällt mir schwer, angesichts des anhaltenden politischen Wahns noch etwas zu schreiben, was zur Aufklärung beitragen könnte. Längst haben sach- und fachkundige Menschen – alles andere als vermeintliche „Coronaleugner“ – alle Fakten und Daten benannt und beschrieben. Die auf dieser fachlichen Grundlage eingeforderte Kurskorrektur ignorieren die Regierenden von Bund und Ländern. Und so setzen sie ihre Lockdown-Politik fort – aktuell mit einem „harten Oster-Lockdown“, wie nun seit der Nacht zum Dienstag bekannt ist, auch wenn inzwischen darüber gestritten wird.

Aber auch in der Corona-Krise gilt, was einst der Sozialdemokrat Ferdinand Lassalle sinngemäß feststellte: Um etwas zu verändern, bleibt es notwendig, laut zu sagen, was ist. Deshalb schreibe ich trotzdem.

Von Lassalles Erkenntnis scheinen unter anderem die SPD-Ministerpräsidenten, die die Lockdown-Politik fortsetzen wollen, längst nichts mehr wissen zu wollen. Ich bezweifle, dass sie und ihre Kollegen, einschließlich des Panikpredigers aus der SPD-Bundestagsfraktion Karl Lauterbach, nicht wissen, was sie tun, dass sie etwa nur aus Unwissenheit handeln. Dazu sind die Daten und Fakten, die ihrer Politik des Wahnsinns widersprechen, zu offensichtlich und auch ihnen zugänglich. Es bleibt zu vermuten, dass dahinter Methode steckt, auch wenn das nur schwer beweisbar ist. Das im Frühjahr 2020 bekannte gewordene Panik-Strategiepapier aus dem Bundesinnenministerium ist ein wichtiges Indiz, reicht aber als Beweis allein nicht aus.

Derzeit wird die allgemeine Bevölkerung mit Hilfe der etablierten Medien weiterhin in Angst und Panik gehalten, so dass beispielsweise viele freiwillig die untauglichen FFP2-Masken tragen, selbst an der frischen Luft. Dafür nutzen die regierenden Politikdarsteller die angeblich steigenden „Infektionszahlen“ bzw. „Fallzahlen“ sowie die Inzidenz-Angaben. Als „Infektionen“ und „Fälle“ werden weiterhin die positiven Ergebnisse der PCR-Tests sowie der sogenannten Schnelltests auf Antigene bezeichnet. Das geschieht unabhängig von der Fehlerhaftigkeit der Tests und ungeachtet der mehrfach belegten Tatsache, dass ein positiver Test keine Erkrankung der jeweiligen Person nachweist. Politisch und medial werden die Ergebnisse aber weiterhin so dargestellt, dass der Eindruck entsteht, dass die gemeldeten Zahlen für Erkrankte stehen. Auf den Testergebnissen gründet die sogenannte Inzidenz – mit dieser wird die Anzahl neu auftretender Fälle in einer gegebenen Population während einer bestimmten Zeit bezeichnet.

Im Fall der laut Weltgesundheitsorganisation WHO vom Virus Sars-Cov-2 ausgelösten Krankheit Covid-19 gibt das in der Bundesrepublik zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) den entsprechenden Wert pro 100.000 Einwohnern im Zeitraum von sieben Tagen an. Das Institut untersteht dem Bundesgesundheitsministerium und wird derzeit vom Tiermediziner Lothar Wieler geleitet. Den Meldungen zufolge steigt seit kurzem die „Sieben-Tage-Inzidenz“ wieder an, nachdem sie im Februar fiel. Das ist der offizielle Grund für die Regierungen von Bund und Länder, den Lockdown nun (vorerst) von Ende März auf den 18. April zu verlängern. Zuvor hatten sie bereits beschlossen, dass bei einem Anstieg der Zahlen auf einen Wert über 100 die „Notbremse“ gezogen wird. Damit sollen eventuelle vorherige „Lockerungen“ zurückgenommen und die bisherigen Maßnahmen wieder verschärft werden können. Genau das geschieht nun – unabhängig von der Ursache der steigenden Werte und ungeachtet der zahlreichen Kritik an den Inzidenz-Zahlen als Kriterium.

„Gewaltiges Problem“

Diese Kritik wird bereits seit etwa einem Jahr geäußert, seit die regierende Politik die Inzidenz als mitentscheidenden Wert in der Pandemie einführte. In den letzten Wochen war sie vermehrt zu vernehmen – ohne Reaktion bei den Regierenden. „Die als ‚Inzidenzrate‘ bezeichnete, auf 7 Tage bezogene Zahlenangabe des RKI beruht auf einer unsystematisch gewonnenen Stichprobe und ist nicht als valide Angabe zur Neuerkrankungsrate zu verstehen.“ Das erklärte unter anderem die Expertengruppe um den Gesundheitswissenschaftler Matthias Schrappe am 12. März auf der von ihnen betrieben Webseite „corona-netzwerk.info“. 

Schrappe hat mit verschiedenen Kollegen bereits in mehreren gemeinsamen Thesenpapieren zur Pandemie auf diesen Umstand hingewiesen, so im sechsten Thesenpapier vom 24. November 2020. „In der gegenwärtigen Situation liegt kein einziges Merkmal vor, das für die Verwendung des Begriffs ‚Inzidenz‘ notwendig wäre“, wurde dort unter anderem festgestellt. Und weiter: „Letztlich lässt sich die Situation leicht auflösen: bei den täglichen Berichten des Robert Koch-Institutes (RKI) handelt es sich nicht um eine Inzidenz oder eine ‚7-Tage-Inzidenz‘, sondern um eine Kombination von mehreren ‚1-Tages-Inzidenzen‘“, so die Wissenschaftler. Der Begriff der „Sieben-Tages-Inzidenz“ werde auf der europäischen Ebene gar nicht verwendet. Das European Center of Disease Control (ECDC) spreche „richtigerweise von notification rates, also von Melderaten“. 

„Das Problem ist gewaltig“, hob die Gruppe um Schrappe hervor, denn es bestimme die gesamte weitere Diskussion. Wer den Begriff der „Inzidenz“ verwende gebe vor, er habe eine Kenntnis der in einem Zeitraum (sieben Tage) tatsächlich neu auftretenden Infektionen und könne daran die Entwicklung zutreffend ablesen. Die Wissenschaftler stellten fest: „Allerdings ist diese Handlungsgrundlage nicht tragfähig, zum anderen wird auf diese Weise der dringend notwendige Weg zur Nutzung sinnvollerer Vorgehensweisen versperrt.“ Sie warnten zudem: „Der durch den Begriff ‚Inzidenz‘ bzw. ‚7-Tages-Inzidenz‘ geweckte Eindruck, man wisse über den Stand der Epidemie und die tatsächlich in einem Zeitraum auftretenden Neuerkrankungen Bescheid, täuscht und untergräbt die Glaubwürdigkeit des politischen Handelns.“

„Viele-Tage-Unsinns-Wert“

In der 44. Sitzung des Corona-Ausschusses am 19. März hatte der Fachinformatiker Hendrik Pötzschke das regierungsoffizielle Zahlentheater um die Inzidenz auseinander genommen. Er analysiert seit Sommer 2020 die offiziellen Zahlen des RKI und macht die Ergebnisse auf der Website von „Querdenken 841“ öffentlich. Um mehr Menschen aufklären zu können, begann er nach seinen Worten, die Zahlen in Youtube-Videos zu erklären.

Pötzschke nennt den „Sieben-Tage-Inzidenz“-Wert des RKI den „Viele-Tage-Unsinns-Wert“. Zu den jeweils vom RKI gemeldeten neuen „Fällen“ betonte er gegenüber dem Ausschuss, dass diese Daten zum Teil nicht neu sind, also nicht innerhalb der jeweils letzten 24 Stunden ermittelt wurden. Sie seien nur neu in die offizielle Statistik eingegangen und würden von Politik und Medien falsch dargestellt. Der Informatiker verwies auf die Meldedaten der vom RKI veröffentlichten Angaben, die entscheidend seien. Diese zeigen, dass die jeweils berücksichtigten „Fall“-Zahlen zum Teil bis zu einem Jahr alt sind. Er arbeitet die offiziellen Daten in eigenen Grafiken auf und versucht damit zu zeigen, wie diese tatsächlich zu verstehen sind. Dabei macht Pötzschke auch einen Unterschied zwischen „Fällen“ mit und ohne Symptome. 

Würden nur die tatsächlich gemeldeten Fälle der letzten sieben Tage berechnet, seien die vom RKI gemeldeten Inzidenzen niedriger als angegeben, erklärte er gegenüber dem Ausschuss. Für den 19. März 2021 hätte danach ein Wert von 77 „Neuinfektionen“ je 100.0000 Einwohnern bundesweit statt der offiziellen Zahl 95,6 berichtet werden müssen. Würden nur die „Fälle“ mit Symptomen, also die wirklich Erkrankten, berücksichtigt, läge die RKI-Inzidenz bei 38,77. Der tatsächliche Wert der letzten sieben Tage läge aber bei nur 20,21, wie Pötzschke in seinem Vortrag zeigte.

„Dann sind die Zahlen doch komplett falsch“, kommentierte Reiner Füllmich, einer der vier Anwälte des Ausschusses, in der Sitzung diese Informationen. Aus seiner Sicht gibt es nur zwei Erklärungen: Die verantwortlichen Wissenschaftler vom RKI wüssten entweder nicht, was sie tun – „oder das ist Korruption, das ist Absicht“. „So sehe ich das auch“, antwortete Informatiker Pötzschke. Die Zahlen müssten aufgrund der Folgen wie den beschnittenen Grundrechten der Bürger sehr genau sein. Es werde aber „alles getan, um der Bevölkerung zu suggerieren, dass es ganz viele Infektionen gibt“, so Füllmich dazu. 

Pötzschke wies nach, das auch bei den täglich gemeldeten „Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden“ Daten aus dem Jahr 2020 einbezogen werden. So hatten von den am 19. März gemeldeten neuen 17.482 „Fällen“ nur 11.693 das Meldedatum 18. März 2021. Von diesen seien 8.552 an dem Tag als erkrankt gemeldet worden. Ähnlich sieht es den Erläuterungen des Informatikers nach bei den Zahlen der „im Zusammenhang mit Covid-19“ Verstorbenen aus. Diese wurden am Tag der Sitzung von RKI mit 227 angegeben – auf Grundlage von Angaben, die laut Pötzschke bis in den Oktober 2020 zurückreichen. Bei einem Durchschnittswert von 13 Tagen von der Erkrankung bis zum Versterben würden tatsächlich für den 19. März nur 57 „Corona-Tote“ gemeldet werden können, wobei nur für 22 angegeben wurde, dass bei ihnen Symptome registriert wurden.

Die Rolle der Tests

Doch von solchen Analysen lassen sich die Regierenden nicht beirren, schon gar nicht wenn sie von einem unabhängigen Informatiker kommen. Unbeeindruckt blieben sie bei ihren jüngsten Entscheidungen anscheinend ebenfalls von Aussagen wie denen der Landrätin des Landkreises Greiz in Thüringen, Martin Schweinsburg (CDU). Der Kreis verzeichnet

in den letzten Tagen eine „Sieben-Tage-Inzidenz“ von mehr als 500 (568,8 am 22.03.2021, 15:00 Uhr). In einem Interview mit der Zeitung „Der Tagesspiegel“, online veröffentlicht am 19. März, erklärte Schweinsburg auf die Frage, worauf sie „die deutschlandweit mit Abstand höchste Inzidenz in Greiz“ zurückführe: „Auf die Mehrzahl an Tests.“ Mit einer Tage zuvor gestarteten Schnelltest-Kampagne würden auch alle symptomlosen Kontaktpersonen von als infiziert Gemeldeten getestet. Von bis dahin fast 1.000 Personen ohne Symptome seien fast ein Drittel als „positiv“ getestet worden, berichtete die Landrätin. 

Sie erklärte weiter, dass das „Infektionsgeschehen“ nicht auf die leichten Lockerungen wie beispielsweise geöffnete Geschäfte und Restaurants zurückzuführen sei: „Der steile Anstieg ist stattdessen zeitlich recht klar auf die Zunahme der Testkapazitäten zurückzuführen. Und die Zahlen werden noch weiter steigen: Denn wer sucht, der wird auch finden.“ Dennoch sei die gesundheitliche Lage im Landkreis überschau- und beherrschbar, widersprach Schweinsburg Katastrophenszenarien. Das Beispiel Greiz ist nur eines von zahlreichen, die zeigen, dass das Zahlentheater der Regierenden nur wenig mit den Realitäten zu tun hat – aber umso mehr Folgen für das Leben der Bundesbürger hat.

Wie Informatiker Pötzschke gegenüber dem Corona-Ausschuss deutlich machte, ist der Inzidenz-Wert jeweils von den Faktoren abhängig, die einberechnet werden, bis hin zur Einwohnerzahl des betroffenen Ortes oder Landkreises. Darauf haben seit Monaten verschiedene Wissenschaftler und Experten hingewiesen. Auf die massive Abhängigkeit des Inzidenzwertes von der Zahl der durchgeführten Tests machten die beiden Mathematiker Thomas Rießinger und Michael Horn am 16. März in einem Gastbeitrag für den Blog des Journalisten Boris Reitschuster aufmerksam.  So sei der Wert durch Politik und Behörden „in hohem Maße steuerbar“, stellten sie fest. 

Bei der Covid-19-Inzidenz müsste es sich den Definitionen nach „um die Anzahl der an Covid-19 Neuerkrankten innerhalb eines Zeitraums von sieben Tagen handeln“, so Rießinger und Horn. Aber: „Gezählt werden dabei auch und insbesondere Fälle, bei denen nichts weiter als ein positiver PCR-Test vorliegt“, stellen sie mit Blick auf die RKI-Angaben fest. Die Autoren verwiesen auf eine Reihe von Faktoren, die die Testergebnisse als nicht sicher und aussagefähig erscheinen lassen. Der vielbeschworene Inzidenzwert sei „durch Teststrategie und Testanzahl in hohem Maße steuerbar, was die schon erwähnte Schmälerung seiner Aussagekraft noch einmal steigern dürfte“, so die beiden Mathematiker. 

„Noch immer sind nicht alle Aspekte untersucht, denn es stellt sich nun die Frage, ob die zukünftig in großer Zahl vorgesehenen Schnelltests einen weiteren Einfluss auf die Inzidenz haben werden“ stellten sie fest. Der Wert ist nach ihren Angaben abhängig vom Ct-Wert und der Suchstrategie des PCR-Tests, ebenso von der Teststrategie und der Testanzahl. So könnten „in Bezug auf kleinere Bevölkerungseinheiten aus kleinen Ursachen große Wirkungen erzeugen“. Die Rate falsch positiver Testungen müsse ebenfalls berücksichtigt werden. „Sehr viele Nebenbedingungen für eine einzige Zahl“, meinen Rießinger und Horn dazu.

Studentisches Wissen

Ein Mathematik-Student aus Bayrisch Gmain im Landkreis Berchtesgadener Land sorgt derzeit mit einem Video für Aufmerksamkeit, weil er nachgerechnet hat. Auch er kommt darauf, dass die offiziellen Inzidenzwerte untauglich sind, um die tatsächliche Lage zu beschreiben. Der Heimatkreis von Patrick Schönherr befindet sich im längsten Lockdown in der Bundesrepublik, auch wenn der Medienberichten zufolge ohne Wirkung bleibt. Seine Rechnung sei auch „für Nicht-Mathematiker leicht nachvollziehbar“, sagte der Student der Zeitung „Traunsteiner Tagblatt“, die am 15. März über ihn berichtete. Die mathematischen Grundlagen seien Stoff der siebten Klasse, wurde Schönherr zitiert. 

Entscheidend ist nach seinen Worten, nicht auf die absoluten Zahlen der positiv Getesteten pro 100.000 Einwohner zu schauen. „Es müssten auch die negativen Tests beziehungsweise die Gesamtzahl der gemachten Tests berücksichtigt werden“, zitiert ihn die Zeitung. Es müsste berechnet werden, wie hoch die Inzidenz wäre, wenn alle immer gleich viel testen würden. „In Schönherrs Rechenbeispiel hätte der Inzidenzwert im Berchtesgadener Land vergangene Woche nicht 89 betragen, sondern 29.“ Der angehende Mathe- und Physiklehrer hat laut dem Blatt die Testzahlen im Berchtesgadener Land und bundesweit vergliche und die Testquote berechnet. Rein rechnerisch seien deutschlandweit seit dem Jahreswechsel 1,52 Prozent der Bevölkerung pro Woche getestet worden, im Berchtesgadener Land fast doppelt so viele: 2,85 Prozent. In der letzten Februarwoche sei der Unterschied noch größer gewesen: 1,4 Prozent in Deutschland und 5,8 Prozent im Berchtesgadener Land.

Das hat Schönherr dem Bericht nach mit der Quote der positiven Testergebnisse hochgerechnet, um herauszufinden, wie viele positive Fälle es jeweils geben würde, wenn beispielsweise einheitlich 1,5 Prozent der Einwohner getestet würden. Im Ergebnis zeigt sich, dass der bundesweite Wert gleich bliebe, aber für das Berchtesgadener Land „eine Inzidenz weit unter 50“ herauskäme. Schönherrs Fazit gegenüber der Zeitung: „Aufgrund der hohen Testzahlen stellt die aktuelle Inzidenzwertberechnung die Lage im Berchtesgadener Land stark verzerrt dar.“ Die Lage sei „deutlich besser als im deutschen Durchschnitt, nächste Öffnungsschritte wären die logische Konsequenz“. Der Student machte dem „Tagblatt“ auf zahlreiche unzureichende Daten aufmerksam, die das RKI veröffentliche, so dass eine korrekte Berechnung erschwert werde. „Die Zahl der Tests beziehungsweise der getesteten Personen müsste berücksichtigt werden, wenn es um Lockerungen und Einschränkungen geht“, gibt die Zeitung eine Diskussion zu Schönherrs Berechnungen wieder.

Kritik von Statistikern

Das Problem der unzureichenden Datengrundlage ist nicht neu und wurde ebenfalls immer wieder von Fachleuten benannt, seitdem die Covid-19-Pandemie am 11. März 2020 ausgerufen und entsprechende Maßnahmen beschlossen wurden. Zu den kritischen Experten gehört der Statistiker Gerd Bosbach, Autor unter anderem des Buches „Lügen mit Zahlen“, das er gemeinsam mit Jens Jürgen Korff veröffentlichte. Auf der gemeinsamen Webseite „www.luegen-mit-zahlen.de“ äußerte sich Bosbach Ende Februar erneut zu den Zahlen im Zusammenhang mit Covid-19. Die Erhöhung der Anzahl der Schnelltests kommt für ihn neben den Virus-Mutationen als eine Ursache der stagnierenden beziehungsweise steigenden positiven Testergebnisse in Frage, nachdem diese im Februar erst sanken. „Der Spruch ‚Wer viel sucht, findet auch viel‘ passt bei Corona gut, da mit den Schnelltests auch symptomlose oder nur leicht erkrankte aufgedeckt und über einen PCR-Test positiv getestet werden“, so der Statistiker.

„Hätten wir repräsentative Untersuchungen zur aktuellen Verbreitung des Virus, wie schon im Frühjahr 2020 gefordert, wäre es klar. Steigt der Anteil der Infizierten, liegt es wohl an den Mutanten. Steigt er nicht, bringen die vermehrten Tests nur mehr bisher unentdeckte Fälle zu Tage, sinkt die Dunkelziffer. Da diese Untersuchungen nicht existieren, verbleiben uns nur Krücken zum Versuch der Beantwortung.“ Bosbach meinte im Februar: „Die Folgen der für März geplanten Schnelltestausweitungen für die Zahl der positiv Getesteten (und damit die Inzidenz) ist klar. Salopp ausgedrückt: ‚Die heutige 35 ist die 70 bei Halbierung der Dunkelziffer.‘ Ob die Entscheider das berücksichtigen?“ Die Regierenden haben das anscheinend negativ beantwortet, wenn sie denn überhaupt die Fragen von Bosbach zur Kenntnis nahmen.

Gegen die pauschale „Sieben-Tage-Inzidenz“ sprach sich Mitte März der Statistiker Göran Kauermann aus. Er arbeitet an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und gehört zu deren „Covid-19 Data Analysis Group“ (https://www.covid19.statistik.uni-muenchen.de/index.html). Seiner Meinung nach braucht es neue Werkzeuge, um die Heftigkeit der Pandemie in Deutschland zu beschreiben. Im Interview mit der Zeitung „Münchner Merkur“ (Ausgabe 13./14. März 2021) erklärte Kauermann unter anderem: „Wo genau der Schwellenwert liegt, ist eine politische Entscheidung. Wichtig ist dabei aber etwas anderes: Die Sieben-Tage-Inzidenzwerte von heute sind nicht vergleichbar mit denen, die wir im November hatten.“ 

Es seien andere Altersgruppen betroffen – nachdem bei den Älteren die Werte sinken würden, würden nun immer mehr Jüngere positiv getestet. Bei den jüngeren Altersgruppen würden die Inzidenzen steigen, unter anderem weil mehr getestet werde, so in Schulen und Kindertagesstätten. Dadurch sinke die bisherige Dunkelziffer der Infektionen, wie auch Kauermann die positiven Testergebnisse bezeichnet. Er machte zudem darauf aufmerksam: „Die Todeszahlen gehen immer weiter runter. Auch in unseren Hochrechnungen über zukünftige Todeszahlen ist ein Abwärtstrend zu beobachten.“ 

Der Münchner Statistiker forderte, infolge des sich verändernden Testgeschehens „ viel flexibler und detaillierter auf die Zahlen“ zu schauen. „Der deutsche Fokus allein auf die Inzidenz war schon im November nicht dienlich und ist es heute auch nicht“, so Kauermann. „Das Maß der Dinge sind für mich aber die Neuaufnahmen in den Krankenhäusern und insbesondere auf den Intensivstationen. Ein entscheidender Wert, der bisher aber nicht allgemein zur Verfügung steht.“

Notwendige Diagnose fehlt

Doch der seit langem eingeforderte genauere Blick auf die tatsächliche Lage im Zusammenhang mit Covid-19 bleibt weiterhin aus, wie die neuesten politischen Entscheidungen zeigen. Im Schweizer Online-Magazin „Infosperber“ wurde am 22. März festgestellt: „Die wieder steigende Zahl der positiv Getesteten wird ohne Zusammenhang präsentiert.“ Am „unsinnigsten“ seien die Tageszahlen. „Selbst ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Epidemie informieren Medien und manchmal auch Behörden an Medienkonferenzen immer noch über die Fallzahlen, ohne sie mit der Menge der durchgeführten Tests zu vergleichen“, so der Befund von Autor Urs P. Gasche, der nicht nur für die Schweiz zutrifft. „Die nötigen Daten sind auf Webseiten der Behörden und Medien durchaus zu finden, aber man stellt sie nur selten in einen Zusammenhang.“

Für Gasche ist es „einleuchtend: Je mehr getestet wird, desto mehr Fälle werden entdeckt, weil es – nicht nur unter den Jungen – eine unbekannt hohe Dunkelziffer von Virustragenden gibt. Wenn man überhaupt nicht mehr testen würde, gäbe es höchstens noch ‚Fälle‘, die in Spitallabors entdeckt würden.“ Letztere wären dann die tatsächlich Erkrankten, die entweder in Arztpraxen oder Krankenhäusern behandelt werden und deren Zahl der eigentliche Gradmesser für die Schwere eine Epidemie ist. Der „Infosperber“ macht seit einem Jahr wie andere auch auf die statistische Verzerrung der sogenannten Fallzahlen aufmerksam.

Doch es bleibt zu befürchten, dass sich daran kaum etwas ändert. Die regierende Politik hat anscheinend kein Interesse daran, die Lage so darzustellen, wie sie tatsächlich ist. Die mit ihr verbundenen etablierten Medien werden seit Beginn der Pandemie ihrer Aufgabe nicht gerecht, aufzuklären und kritisch zu hinterfragen. Das wäre gerade angesichts der massiven Folgen der Corona-Politik für die Gesellschaft notwendig. Zwar wachsen in der Öffentlichkeit anscheinend Zweifel am Treiben der Regierenden, aber noch werden die nur an Symptomen wie den Problemen in der Impf-Kampagne festgemacht. Die grundlegende Diagnose des Geschehens und seiner Hintergründe, für die zahlreiche Experten und auch der Corona-Ausschuss bereits genug Material geliefert haben, wird noch gescheut und verweigert. Dennoch bleibt sie weiter notwendig: Es muss laut gesagt werden, was ist und warum es so ist. Damit es verändert werden kann.

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