Donnerstag, März 28, 2024
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Aufforderung zum Rückzug der Leopoldina-Stellungnahme

Prof. Dr. Michael Esfeld, Wissenschaftsphilosoph an der Universität von Lausanne und selbst Mitglied der Leopoldina hat den Präsidenten der Leopoldina, Herrn Prof. Haug, mit Protestnote vom 8. Dezember 2020 aufgefordert, die Stellungnahme der Leopoldina, mit der u.a. ein harter Lockdown gefordert wird, zurückzuziehen. Hier die Protestnote:

„Sehr geehrter Herr Kollege Haug,

Mit Bestürzung habe ich die heute veröffentlichte Stellungnahme der Leopoldina zur Kenntnis genommen, in der es heißt:
„Trotz Aussicht auf einen baldigen Beginn der Impfkampagne ist es aus wissenschaftlicher Sicht unbedingt notwendig, die weiterhin deutlich zu hohe Anzahl an Neuinfektionen durch einen harten Lockdown schnell und drastisch zu verringern.“

Diese Stellungnahme verletzt die Prinzipien wissenschaftlicher und ethischer Redlichkeit, auf denen eine Akademie wie die Leopoldina basiert. Es gibt in Bezug auf den Umgang mit der Ausbreitung des Coronavirus keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die bestimmte politische Handlungsempfehlungen wie die eines Lockdowns rechtfertigen. Wir haben es mit der üblichen Situation einer wissenschaftlichen Kontroverse zu tun, in der verschiedene Standpunkte mit Gründen vertreten werden:

• Innerhalb des engeren Kreises der Experten von Virologie und Epidemiologie ist die Strategie zum Umgang mit der Ausbreitung des Coronavirus umstritten. Der Seite von Virologen und Epidemiologen, die scharfe politische Maßnahmen fordern, steht eine andere Seite von Virologen und Epidemiologen gegenüber, die mit Gründen einen nur auf die Risikogruppen fokussierten Schutz empfehlen, ausgedrückt zum Beispiel in der von führenden Medizinern verfassten Great Barrington Declaration.

• Im weiteren Kreis der Wissenschaftler ist höchst umstritten, ob der Nutzen scharfer politischer Maßnahmen wie ein Lockdown die dadurch verursachten Schäden aufwiegt – und zwar Schäden an zukünftigen Lebensjahren, die in Deutschland und anderen entwickelten Ländern infolge eines Lockdown verloren gehen, Todesfälle durch einen erneuten Anstieg der Armut in den Entwicklungsländern usw. Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien, gemäß denen die verlorenen Lebensjahren den maximal erreichbaren Nutzen geretteter Lebensjahre um ein Vielfaches übersteigen werden.

• Ethisch gibt es insbesondere in der auf Immanuel Kant zurückgehenden Tradition Gründe, grundlegende Freiheitsrechte und die Würde des Menschen auch in der gegenwärtigen Situation für unantastbar zu halten. Zur Würde des Menschen gehört dabei insbesondere die Freiheit, selbst entscheiden zu dürfen, was die jeweilige Person als ein für sie würdiges Leben erachtet und welche Risiken sie für diesen Lebensinhalt einzugehen bereit ist in der Gestaltung ihrer sozialen Kontakte.

In einer solchen Situation wissenschaftlicher und ethischer Kontroverse sollte die Leopoldina ihre Autorität nicht dazu verwenden, einseitige Stellungnahmen zu verfassen, die vorgeben, eine bestimmte politische Position wissenschaftlich zu untermauern. Ich möchte Sie daher höflichst bitten, die entsprechende Stellungnahme umgehend als Stellungnahme der Leopoldina zurückzuziehen.

Hochachtungsvoll

Prof. Dr. Michael Esfeld
Lehrstuhl Wissenschaftsphilosophie Universität Lausanne
Mitglied der Leopoldina seit 2010

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