Ein Beitrag von Holger Gräf
Zuerst komme ein Wohlstand wie noch nie. Darauf folge ein Glaubensabfall wie noch nie. Auf eine Sittenverderbnis folge eine große Zahl Fremder, die ins Land kämen. Dann käme eine große Inflation, bei der das Geld mehr und mehr an Wert verliere. Und schlussendlich würden nach einer Revolution die Russen den Westen überfallen und den dritten Weltkrieg auslösen.
Mit diesen Prophezeiungen wird der Seher Alois Irlmeier stets zitiert und wer sie liest, bei dem macht sich zunehmend Besorgnis breit. Denn sie scheinen sich gerade zu erfüllen.
Hatten wir nicht einen großen Wohlstand in der Zeit des Wirtschaftswunders? Sind dann nicht zahllose Menschen aus der Kirche ausgetreten? Kamen im Jahr 2015 nicht zahllose „Fremde“ in unser Land und wie sieht es aktuell mit den ukrainischen Flüchtlingen aus? Und erleben wir nicht derzeit eine so große Inflation wie seit Jahrzehnten nicht mehr?
Viele schauen nun besorgt nach Frankreich und fragen sich, ob sich die Massenproteste nun vielleicht zu der prophezeiten Revolution ausweiten könnten. Und hatte Irlmeier nicht auch vorausgesagt, dass ausgerechnet Paris (die Stadt mit dem eisernen Turm) in einer solchen Revolution durch die eigene Bevölkerung in Brand gesteckt werde?
Zugegebenermaßen scheint sich hier ein Puzzlesteinchen zum nächsten zu fügen und weil das so ist, lohnt es sich, einmal differenzierter zu recherchieren, wer Alois Irlmaier war und ob er das alles wirklich prophezeit hat.
Irlmeier – der einzige Wahrsager mit höchstrichterlichem Ritterschlag
Alois Irlmeier gilt als der einzige Prophet, dessen prophetische Gabe von einem Gericht bestätigt wurde. So sehen es zumindest seine Fans. Doch was ist damals, im Jahr 1947 wirklich passiert?
Irlmaier, der sein Auskommen als Installateur und Brunnenbauer bestritt, wurde im Jahr 1947 vom Pfarrer des Dorfes der Gaukelei und Wahrsagerei gegen Entgelt beschuldigt und musste sich vor Gericht verantworten. Dort jedoch geschah etwas Beachtliches: Zahlreiche Zeugen sagten zu seinen Gunsten aus. Er habe ihnen im Zuge des Zweiten Weltkriegs das Leben gerettet, indem er ihnen Gebäude genannt hätte, die von Bomben verschont geblieben sind. Er habe damit stets richtig gelegen.
Schlussendlich wurde Irlmeier freigesprochen und der Richter soll sich in der Urteilsbegründung sogar anerkennend über dessen prophetische Fähigkeiten geäußert haben.
So weit die Geschichte.
Dass Irlmeier eine Prophezeiung für einen dritten Weltkrieg gemacht habe, wurde erst drei Jahre später bekannt. Beginnend im Jahr 1950 veröffentlichte Conrad Adlmaier ein Buch, in dem er behauptete, er habe von Irlmeier mehrere Aussagen zu einem dritten Weltkrieg gehört. Die erste Ausgabe trägt den Titel: „Blick in die Zukunft. Die Geschichte des Mühlhiasl und die Voraussagungen des Alois Irlmaier.“ Die späteren Auflagen beziehen sich hingegen nur noch auf Alois Irlmeier und tragen den schlichten Titel: „Blick in die Zukunft.“
Alle Auflagen beschreiben im Kern die gleichen Ereignisse: Nach der Ermordung eines „Hochgestellten“ würde Deutschland – praktisch ohne Vorwarnung und über Nacht – von Russland überfallen. Die russische Armee würde in drei Stoßkeilen angreifen, aber der Angriff käme sehr bald zum Erliegen. Ferner beschreibt er, es sei in Deutschland zu dieser Zeit so warm, dass man Früchte anbauen könne, die eigentlich nur in Italien wachsen.
Ein schwarzes Kästchen würde von einem Flugzeug ins Meer geworfen, woraufhin sich das Wasser haushoch auftürme und die Küstenregionen Deutschlands überschwemme. Vorgelagerte Inseln würden dabei vollständig im Meer versinken.
Erst jetzt beschreibt Irlmeier, dass Paris in Flammen aufgehe und dass dies keine Folge des eigentlichen Krieges sei, sondern dass es die Bevölkerung selber sei, die es verursache.
Von dieser Seite aus betrachtet, ist eine Revolution in Frankreich also nicht etwa ein Vorbote des dritten Weltkrieges, sondern ein Nebenkriegsschauplatz desselben.
Das alles verortete der Seher in das Jahr 1950. Als der erwartete Krieg ausblieb, gab er an, es sei die Fürbitte an die Mutter Gottes gewesen, die für einen Aufschub gesorgt habe. Die Gefahr sei aber keineswegs gebannt; die Gefahr tauche nun immer häufiger bei seinem „Sehen“ auf.
Wir können davon ausgehen, dass der Autor Conrad Adlmaier die Wahrheit sagte, wenn er behauptete, die von ihm niedergeschriebenen Worte entstammten dem Munde Irlmeiers. Zu der Zeit der ersten beiden Ausgaben lebte der Seher schließlich noch und hätte jederzeit intervenieren können, wenn ihm fälschlicherweise Worte in den Mund gelegt worden wären, die er so nie gesagt hatte.
Allerdings finden wir die eingangs gemachten Aussagen über die Vorzeichen des dritten Weltkrieges in keiner einzigen der drei Auflagen.
Irlmaier- Renaissance zum Jahrtausendwechsel
Nach der dritten Auflage im Jahr 1961 geriet Irlmeier weitgehend in Vergessenheit, bevor er in den späten 90er und frühen 2000er Jahren eine wahre Renaissance erlebte. Vermutlich befeuert durch das junge Internet begannen sich wieder mehr und mehr Menschen für Irlmaier und seine Prophezeiungen zu interessieren. Möglicherweise war es aber auch der Jahrtausendwechsel, der den Menschen Angst machte. Und es ist just die gleiche Zeit, in der dann weitere Prophezeiungen auftauchen, die er gemacht haben soll.
1997 meldet sich ein Adalbert Schoenhammer zu Wort und fügt Irlmeiers Original-Prophezeiung einige Details hinzu.
Im Jahr 1998 schreibt Wolfgang Johannes Bekh einen offenen Brief an seinen Bürgermeister und fügt ebenfalls weitere Details hinzu.
Und im Jahr 2002 veröffentlicht Bernhard Bouvier einen Artikel in der Zeitschrift „Magazin2000 plus“ mit dem Titel: Was bringt die Zukunft? Auch er fügt einige Details hinzu.
In diese Zeit fällt auch eine Veröffentlichung eines gewissen Bonaventur Meyer, in welcher er eine Caritasschwester namens Maria Luise Bender zitiert. Diese will zufälligen Kontakt zu Irlmeier gehabt haben, und zwar über ihren Fahrlehrer.
Hier (und nur hier) finden wir die eingangs zitierte Aussagen, die man als Vorboten zum dritten Weltkrieg deuten klönnte. Sie wurden also zu einer Zeit gemacht, als Irlmeier längst tot war und sie weder bestätigen konnte, noch als Schwindel entlarven. Ihr Urheber hat in den späten 70er Jahren mehrere Bücher zu theologischen Themen verfasst und wird ansonsten nur noch in einem Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1984 erwähnt.
Anders als es bei Conrad Adlmaier der Fall war, liegen uns hier also bestenfalls unbestätigte Aussagen vor, die auf großen Umwegen ihren Weg in die Öffentlichkeit fanden.
Leider werden sie aber mit den eigentlichen Kernaussagen Irlmeiers gleichgestellt. Aufgrund der guten Reputation des Sehers glauben nun unzählige Menschen, er habe nachweislich die fraglichen Aussagen zum dräuenden dritten Weltkrieg getroffen. Das jedoch könnte eine Fehleinschätzung sein.