In der aktuellen Ausgabe der renommierten Neuen Juristischen Wochenschrift haben sich die Strafrechtsprofessorin Prof. Dr. Katrin Gierhake und der Fachanwalt für Medizinrecht Carlos A. Gebauer auf S. 2133 ff zur „Ärztlichen Aufklärung bei Behandlungen mit bedingt zugelassenen mRNA-Impfarzneien“ geäußert. Das Ergebnis ihrer Analyse wird Impfärzten nicht gefallen.
Eine Zusammenfassung von Rechtsanwältin Viviane Fischer
Grundsätzlich ist jeder medizinische Eingriff einwilligungsbedürftig. Dies gilt auch für präventive Eingriffe wie eine Impfung. Eine informierte Einwilligung setzt die Aufklärung über die Chancen und Risiken der ins Auge gefassten Behandlung durch qualifiziertes Personal voraus. „Fehlt eine informierte Einwilligung, ist die Behandlung mithin selbst dann rechtswidrig, wenn der Eingriff medizinisch indiziert und lege artis durchgeführt war.“, so die Autoren. „Denn nur so kommt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zur Geltung (Art. 1 I GG, Art. 2 I GG, Art. 2 II 1 GG).“
§ 631e I 1 BGB schreibt fest, dass vor einem medizinischen Eingriff über „sämtliche für die Einwilligung relevanten Umstände“ aufzuklären ist. Das meint: Art, Umfang, Durchführung, erwartbare Folgen und Risiken, aber auch Notwendigkeit, Eignung, Erfolgsaussichten und Behandlungsalternativen. Erfolgt der Eingriff ohne die erforderliche Aufklärung, so ist dies sowohl strafrechtlich – z.B. als Körperverletzung – als auch zivilrechtlich – als möglicherweise schadensersatzträchtige Pflichtverletzung des Arztes – relevant.
Auch die Information darüber, dass ein Medikament kein gut eingeführtes Standardprodukt ist, sondern nur eine bedingte Zulassung erlangt hat, gehört in der Europäischen Union zum erforderlichen Aufklärungsumfang. „Die Patienten und im Gesundheitswesen tätige Fachkräfte sollten deutlich darauf hingewiesen werden, dass die Zulassung nur bedingt erteilt wurde.“, läßt sich dem Erwägungsgrund Nr. 10 zu Art. 4 II der Verordnung Nr. 507/2006 der Kommission vom 29.3.2006 entnehmen.
Die bedingte Zulassung ermöglicht, durch „ein vorangehendes Rolling Review-Verfahren, durch ein beschleunigtes Beurteilungsverfahren (…), durch eine Datenverringerung (klinischer Teil der Antragsunterlagen) bei möglichst gleichen Anforderungen an die Nutzen/Risiko-Abwägung und -Bilanz und zusätzlichen Studienauflagen mit verstärkter Pharmakovigilanz“ den raschen Marktzugang eines Arzneimittels. Zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens liegen in einer solchen Konstellation also die sonst üblichen Sicherheitsdaten noch nicht vollumfänglich vor. Das Produkt ist damit trotz möglicher Chancen insgesamt risikoreicher.
Eigentlich muss der Umstand der bedingten Zulassung „klar aus der Zusammenfassung der Merkmale des betreffenden Arzneimittels sowie aus seiner Packungsbeilage hervorgehen.“ In der Realität haben die allermeisten Impfwilligen in Deutschland die Packungsbeilage ihrer Corona-„Impfstoffe“ nie zu sehen bekommen, da für diese abweichend von §§ 10 und 11 AMG ein In-Verkehr-Bringen ohne Kennzeichnung und Packungsbeilage erlaubt war.
Impfärzte konnten daher nicht einfach auf die Packungsbeilage verweisen, um ihrer Aufklärungspflicht zu genügen. Ein solcher Hinweis reicht regelmässig aber auch dann schon nicht aus, wenn unerwünschte Nebenwirkungen den Patienten empfindlich treffen können. Es ist in einem solchen Fall – wie vorliegend angesichts der technisch-medizinischen Neuartigkeit der genbasierten Impftechnik – eine zusätzliche persönliche Unterrichtung durch den verordnenden Arzt nötig.
Die Autoren zitieren den BHG wie folgt: „Wenn der Arzt eine alternative oder neuartige Behandlungsmethode (sog. Neulandmethode) wählt, ein neues, noch nicht zugelassenes Medikament einsetzen oder ein zugelassenes Medikament außerhalb des Indikationsgebiets, für das es zugelassen ist, verwenden will (Off-Label-Use), muss der Patient über die damit verbundenen Vor- und Nachteile sowie deren Verhältnis zu den Vor- und Nachteilen konventioneller Methoden ins Bild gesetzt werden.“ Dabei sei objektiv aufzuklären. Die Wahrscheinlichkeit schädlicher Nebenwirkungen dürfe „nicht verniedlicht“ und die Wahrscheinlichkeit des Heilungserfolgs „nicht überzeichnet“ werden. Wenn sich die Risiken der neuen Methode noch nicht hinreichend abschätzen liessen, müsse der Patient eben genau über diese Unsicherheit informiert werden.
Die Rechtsgrundsätze der Neulandmethode bzw. des Off-Label-Einsatzes sehen die Autoren mit Blick auf die „Impfstoffe“ gegen COVID-19 als anwendbar an. Sie schreiben: „Insgesamt lässt sich im Verhältnis zu traditionell erprobten Impfstoffen und -technologien hier also ein erhöhter Unsicherheitsgrad im Umgang, in der Wirkweise und in den medizinischen Folgen und Risiken des Mitteleinsatzes konstatieren. Dies legt nahe, die Aufklärungserfordernisse bei Neulandmethoden bzw. Off-label-Einsätzen gleichlautend anzuwenden.“ Klar sei: „Beim erstmaligen Einsatz von Medikamenten oder Behandlungsmethoden in der breiten klinischen Praxis am Menschen außerhalb von (uU noch nicht abgeschlossenen) Zulassungsstudien kann daher von einer bewährten, etablierten, in seinen Risiken sicher abschätzbaren Methode schwerlich gesprochen werden.“
Als entsprechende Risiko- und Unsicherheitsfaktoren, die für die beteiligten Fachkreise auch schon ex ante, also beim Ausrollen der Impfungkampagne erkennbar waren, werten sie:
a) Estmals flächendeckende Anwendung der mRNA-Technologie, bei der trotz jahrzehntelanger Studien kein Vorläuferprodukt zur Markreife gelangt war; bis Corona stark beschränkte, individualisierte Anwendungsbereiche im Rahmen klinischer Forschung, vor allem bei Krebserkrankungen.
b) Molekularbiologisch und medizinisch unklarer Verteilungsmechanismus der Injektion über Lymphsystem und Blutgefäße im Körper
c) Unklarer Wirk- und Interaktionsmechanismus der selbstproduzierten Spikeproteinen in den Körperzellen und im Immunsystem sowie Unklarheit des Kausalzusammenhangs des Entstehens von Autoimmun- und entzündlichen Reaktionen sowie Thrombosen.
d) Unklare Verweildauer der injizierten mRNA im Köper sowie Umfang und Zeitdauer der Produktion der Spike-Proteine.
d) Unklare (immun-)physiologische Reaktion auf die Zufügung der „Bauanleitung“ für das Virusantigen. Dazu führen die Autoren aus: „Den Produktinformationen zum Beispiel des am 21.12.2020 durch die EMA bedingt zugelassenen Impfstoffs „Comirnaty“ von Biontech/Pfizer lässt sich zum Beispiel entnehmen27, dass die Dauer des Impfschutzes, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder anderen Impfstoffen, ein möglicher Einfluss auf das Erbgut (Genotoxizität), eine mögliche krebsfördernde Wirkung (Karzinogenität), die (Neben-)Wirkungen von Vielfachimpfungen (> 2 Injektionen), bei Schwangeren der Plazentatransfer des Impfstoffs oder bei Stillenden die Ausscheidung über die Milch sowie die Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs bei immungeschwächten Personen, einschließlich Personen unter einer Therapie mit Immunsuppressiva noch nicht untersucht waren.“
e) Fristaufschub für die die Sicherheit und Wirksamkeit nachweisenden klinischen Studienberichte der Hersteller bis Ende 2023
g) Unmöglichkeit der Abschätzung von langfristig auftretenden Nebenwirkungen mangels empirisch untermauerten gesicherten Erkenntnisse
h) Gesteigerte Anforderungen an die Aufklärungsgründlichkeit der Behandelnden aufgrund der Haftungseinschränkungen bei den Herstellerfirmen bei „Off-Label-Einsatz“.
Nach all dem hätte die Impfärzte besonders intensiv aufklären müssen. Sie durften sich auch nicht hinter der öffentlichen Empfehlung für die „Impfstoffe“ verstecken. „In Fällen öffentlicher Impfempfehlung“, zitieren die Autoren den BGH „hat zwar durch die Gesundheitsbehörden eine Abwägung zwischen den Risiken der Impfung für den einzelnen und seine Umgebung auf der einen und den der Allgemeinheit und dem einzelnen drohenden Gefahren im Falle der Nichtimpfung auf der anderen Seite bereits stattgefunden. Das ändert aber nichts daran, dass die Impfung gleichwohl freiwillig ist und sich der einzelne Impfling daher auch dagegen entscheiden kann. Dieser muss sich daher nicht nur über die Freiwilligkeit der Impfung im Klaren sein (…). Er muss auch eine Entscheidung darüber treffen, ob er die mit der Impfung verbundenen Gefahren auf sich nehmen soll oder nicht. Das setzt die Kenntnis dieser Gefahren, auch wenn sie sich nur äußerst selten verwirklichen, voraus; diese muss ihm daher durch ärztliche Aufklärung vermittelt werden. (…)“.
Die Autoren: „Ist noch unklar, welche Risiken sich aus einem Medikamenteneinsatz ergeben, bleibt also faktisch nur der Hinweis auf unbekannte Risiken, um der Wahrheitspflicht des Aufklärenden nachzukommen. Kennen weder er noch die Zulassungsbehörde noch auch der Hersteller die aktuell relevant denkbaren Risiken, lassen sich diese mit erhofften Nutzeffekten streng genommen nicht einmal abwägen….Ist also eine Aufklärung über die Unmöglichkeit der Aufklärung wegen Unwissens geschuldet?“
Rechtlich sei ein Hinweis auf die geringe empirische Datenbasis notwendig und es müsse erläutert werden, warum gleichwohl – auf Seiten des Arztes – die Erwartung der Wirksamkeit, Effizienz und Sicherheit des neuartigen Impfstoffs bestehe. Der reine Hinweis auf die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) reiche nicht aus, weil die STIKO den Impfstoff ja selbst nur unter der „Neuland“-Ungewissheit empfohlen hat. Auch hinsichtlich Dringlichkeit, Eignung, Erfolgsaussichten und möglichen Alternativen könne ein um objektive Aufklärung bemühter Arzt mangels belastbaren Wissens letztlich keine substantielle Belehrung durchführen.
Einen Ausweg aus der quasi unerfüllbaren Aufklärungspflicht für den Arzt könnte ein Aufklärungsverzicht des Patienten gem. § 630e III BGB bzw. § 630c IV BGB darstellen, der in der Realität allerdings nicht beschritten worden sein dürfte. Ein solcher Verzicht erfordert zum einen die (hier nicht festzustellende) Alternativlosigkeit der Präventivbehandlung. Zum anderen muss der Verzicht aber auch wirksam erklärt worden sein. Voraussetzung dafür ist laut der Autoren ein persönliches Gespräch zur „Aufklärung über das wegen Unklarheiten noch nicht Erklärbare“. Ein Hinweis auf schriftliche Informationen reicht, wie schon ausgeführt insoweit nicht aus, da dies allenfalls bei Routineeingriffen für zulässig gehalten wird. Das Navigieren im unbekannten Neuland und eine „Routine“ schließen sich aber schon denklogisch aus. Die Aufklärung hat gem. § 630e II 1 Nr. 2 BGB dabei stets so rechtzeitig zu erfolgen, dass der Patient sich gedanklich mit den Informationen auseinander setzen und dadurch selbstbestimmt und wohlüberlegt entscheiden kann. Die Belehrung müßte dabei auch unbekannte Aspekte wie Dauer des Impfschutzes, die Bedeutung individueller Vorerkrankungen, anderweitiger Medikamentengaben, bei Frauen möglicher Schwangerschaft, mögliche künftige gesundheitliche Entwicklungen insbesondere Nebenwirkungsanzeichen berücksichtigen. „Wenn“, so die Autoren, „nicht einmal die Zulassungsbehörde eine Arznei hinreichend kennt, um bereits eine abschließende Zulassungsentscheidung über sie zu treffen“, könnte wohlüberlegt ja „allein die eigene Bereitschaft des Patienten sein, eigenverantwortlich unbekannte Risiken einzugehen, um dadurch seine Therapiehoffnung zu verwirklichen.“ Eine derartige Entscheidung werde direkt nach derart komplexen Belehrung allerdings nur in seltenen Fällen sofort rechtswirksam zu treffen sein.
Abschliessend stellen Prof. Dr. Gierhake und Gebauer fest:
„Auch bei nur bedingt zugelassenen Impfarzneien und mit noch offenen Risikoprofilen ist es durchaus möglich, hinreichend über die Bedeutung der Behandlung nach Maßgabe der gesetzlichen Voraussetzungen aufzuklären und die nötigen Erläuterungen für einen wirksamen Verzicht auf (weitere) Aufklärung zu erbringen. Grundsätzlich erscheint dabei angemessen, den jeweiligen Stand der Kenntnis von der Wirkweise einer Arznei (bei ihrem Hersteller und den Zulassungsstellen) in eine Wechselbeziehung zu dem nötigen Umfang der ärztlichen Risikoaufklärung zu setzen: Je weniger gesicherte Informationen über die Folgen der Gabe bzw. Verabreichung einer Arznei vorliegen, desto größer sind die – nach § 630f BGB zur Meidung der Folgen des § 630h III BGB zudem dokumentationspflichtigen – Aufklärungs- und Erläuterungsaufgaben des Arztes vor ihrem Einsatz im konkreten Einzelfall. Desgleichen müssen sich entwickelnde Kenntnisse in der Aufklärung niederschlagen und sie aktualisierend modifizieren: Schützt etwa eine Impfarznei wider ursprüngliches Erwarten nicht vor einer Infektion als solcher, sondern mildert sie lediglich mögliche Verläufe, hat sich dies in der konkreten ärztlichen Information zur Abwägungsbelehrung niederzuschlagen.“