2020News publiziert hier den unveröffentlichten Text einer Druckfahne des Spiegels aus dem Jahr 1999. Er handelt von den kriminellen Machenschaften von Banken, insbesondere der Hypo-Vereinsbank, im Immobilienbereich. Die Bank hatte eng mit Drückerkolonnen zusammengearbeitet, um gutgläubigen Immobilienkäufern angeblich „bankgeprüfte“ Wohnungen zu verkaufen, die allerdings lediglich einen Bruchteil des gezahlten Kaufpreises wert waren. Der Kaufpreis bestand – für den Käufer unerkennbar – in einer Höhe von 22 bis 45 Prozent aus Vermittlungsprovisionen. Die Bank stellte zudem fiktive Wertermittlungskosten in Rechnung. Die Beurkundung des Deals erfolgte vielfach nach Dienstschluss bei sogenannten „Mitternachtsnotaren“ unter Verletzung der notariellen Neutralitäts- und Aufklärungspflichten. Die kurzfristige Entscheidung gegen eine Veröffentlichung, so ein Informant gegenüber 2020News, sei kurz nach dem Besuch einer Gruppe von Justiziaren der Hypo-Vereinsbank beim Spiegel gefallen. Im Spiegel sei dann eine großangelegte Werbekampagne der Hypo-Vereinsbank zum Thema „Leben Sie – wir kümmern uns um den Rest“ gelaufen.
In der Finanzkrise flogen die faulen Kredite dann der Hypo-Vereinsbank-Tochter Hypo Realestate, die die „Bad Loans“ übernommen hatte, mangels Werthaltigkeit der Schrottimmobilien um die Ohren. Die Bank wurde 2009 mit Steuermitteln und Staatsgarantien in Höhe von 143 Milliarden Euro gerettet.
Nicht auszudenken, was die Aufdeckung des Finanzierungsgebarens der Hypo-Vereinsbank durch den Spiegel im Jahr 1999 an wirtschaftlicher Not und persönlichem Leid für weitere geprellte Immobilienanleger hätte verhindern können und welche finanziellen Opfer sie dem Steuerzahler hätte ersparen können.
Hier der Originaltext der Druckfahne:
„Ein organisierter Massenbetrug
Frisierte Zinsberechnungen, vorgetäuschte Gutachten und Kreditpraktiken, die jeden seriösen Banker entsetzen: Die Hinterlassenschaft der früheren Hypo bringt Deutschlands zweitgrößte Bank in Schwierigkeiten. Kunden fordern Schadenersatz, Staatsanwälte ermitteln.
Es war ein glänzendes Jahr für Deutschlands größten Baufinanzierer. Das Neugeschäft der Bayrischen Hypotheken- und Wechsel-Bank sprang auf 27,4 Milliarden Mark nach oben, 64 Prozent mehr als im Vorjahr. Mitten im schönsten Boom wurde dem Vorstandsmitglied Klau Heiss mulmig.
Über die Methoden, mit denen er den Umsatz hochknüppelte, machte sich der für Immobilien zuständige Spitzenmann keine Sorgen. Er fürchtete, dass zu viele Finanzierung zusammenbrechen könnten. „Deutlich risikobehafteter“ sei das Neugeschäft, notierte Heiss im Juli 1993 und orderte an, dass Immobilien nicht mehr zu 180, sondern nur noch zu maximal 160 Prozent ihres Wertes beliehen werden sollten.
Aber die Filial- und Bereichsleiter mußten Umsatz heranschaffen, die Bank finanzierte weiterhin zu über 160 Prozent. So bekam im Frühjahr 1994 ein Hypo-Kunde ein 180.000-Mark-Darlehen für eine Wohnung, deren Wert der Bank-Gutachter mit 104.000 Mark ermittelt hatte. Dabei war der Gutachter nicht gerade übervorsichtig, wie sich wenig später herausstellen sollte: 1996 brachte die mit 180 000 Mark beliehene Wohnung beim Verkauf 60 300 Mark.
Solche großzügigen Kredite erklären, teilweise zumindest, die gewaltigen Umsätze der Hypo in jenen Jahren.
Der ehemalige Münchner Bauträger Rudolf Hartmam erinnert sich noch, wie die Bank seiner Branche dann das Geld förmlich aufdrängte: „Die hat alles finanziert, was nicht bei 3 auf dem Baum war.“
Und wenn Bauträger ihre Wohnungen verkauften, finanzierte die Bank den Erwerbem nicht nur den vollen Kaufpreis, sondern auch das zehnprozentige Disagio, die Notargebühren, die Mietgarantien und nicht zuletzt die extrem hohen Provisionen der externen Vermittler, die mit Drückermethoden ihren Opfem überteuerte Eigentumswohnungen aufschwatzten.
Banker, Drücker und Notare haben in den 90er Jahren einen Milliardenschaden im Immobiliengeschäft angerichtet. Erst jetzt stellt sich langsam heraus, dass die Bayerische Hypo dabei eine zentrale Rolle in dem komplizierten Geflecht spielte. Bei Wohnungskäufern wie der Münchner Verwaltungsangestellten Gisela Janssen („Ich bin christlich erzogen worden“) ist „das Weltbild erschüttert“.
„Betrügerische Finanzierungen“ nennt der Göttinger Rechtsanwalt Reiner Fuellmich die Praktiken der Bank, „Beihilfe zum organisierten Massenbetrug“ wirft sein Hamburger Kollege Peter Ausborn den Hypo-Managern vor. „Das ist schon mehr als Beihilfe zum Betrug“, meint der Nürnberger Bankrechtler Klaus Kratzer: „Hier stellt sich die Frage nach der Mittäterschaft.“
Eberhard Martini führte zu jener Zeit die Bayrische Hypotheken- und Wechselbank. Seine Leistung schien beeindruckend, er war der Größte im Immobiliengeschäft, er wurde Präsident des Bundesverbands deutscher Banken. Im Herbst 1998 fusionierte sein Institut mit der Bayerischen Vereinsbank zur HypoVereinsbank (HVB), die damit Deutschlands zweitgrößtes Kreditinstitut und Europas größter Baufinanzierer wurde.
Mit dem Zuammenschluß verloren Martini, Immobilienvorstand Heiss und eine Reihe anderer Spitzenleute ihre Jobs. Sie hatten ein Desaster hinterlassen, für das nun die HVB als Rechtsnachfolgerin der Hypo haftet.
Kurz nach der Fusion entdecke HVB-Chef Albrecht Schmidt „mit Wut im Bauch“ faule Immobilienkredite von 3.5 Milliarden Mark, die Hypo-Manager heimlich in ihren Bilanzen vergraben hatten – vor allem mißratene Grundstücksgeschäfte im Osten und vergeigte Bauträgerfinanzierungen. Den Betrag hat Schmidt abgeschrieben, doch der Größenwahn von Martini und seinen Vorstandskollegen könnte die HVB noch viel Geld kosten.
Derzeit fordern Tausende von Hypo-Kunden Schadenersatz. Die Opfer sind überwiegend Klein- und Durchschnittsverdiener – „arme Schweine, die beim Wohnungskauf hereingelegt worden sind„, so der emeritierte Jura-Professor Erwin Deutsch. Der Spezialjst für Haftungsrecht arbeitet für die Kläger an einem Gutachten über die Finanzierungspraktiken der Münchner Bank. Nach seiner Erkenntnis ist die Hypo nicht nur als Kreditgeber aufgetreten, sondern „hat alles gesteuert.“
Dass sie mit überteuerten Immobiiien hereingelegt wurden, wissen die meisten Wohnungskäufer schon seit langem. Schadenersatzklagen gegen die HypoVereins- bank laufen seit vier Jahren (SPIEGEL 13/1998).
Die Kläger werfen der Bank vor, sie habe sich keineswegs auf die Finanzierung beschränkt, sondern die freiberuflichen Vermittler als „Erfüllungsgehilfen“ eingesetzt. Da von den Drückern kein Geld zu holen ist, fordern sie Schadensersatz von der Bank – im Durchschnitt über 100.000 Mark pro Wohnung.
Er geht um sehr viel Geld. Insgesamt 108.000 Wohnungen, die über Vermittler zwischen Bauträger und Erwerber verkauft wurden, hat die Bank finanziert. Durch unsaubere Geschäfte, behaupten Anwälte der Kläger, sei den Wohnungskäufern ein Gesamtschaden von rund zehn Milliarden Mark entstanden.
Bislang hat die HypoVereinsbank die erste Kiagewelle erfolgreich überstanden. Zwar hat sie eine Reihe von Prozessen verloren, aber rechtskräftig ist noch kein Urteil, weil die Bank immer Berufung eingelegte. 181 Prozesse hat die HVB – teils vorläufig, teils endgültig – gewonnen.
Fast immer folgten die Richter dem Standardargument der Bank: Die Hypo habe nur finanziert. Die Rechtslage ist in diesem Fall eindeutig: Der Immobilienkäufer trägt das Risiko, die Bank muss ihn nicht darüber aufklären, dass der Kauf ein erkennbar schlechtes Geschäft ist. So ließ die HVB ihre Anwälte stets behaupten, die Hypo habe sich auf ihre Rolle als Kreditgeber beschränkt.
Von versteckten lnnenprovisionen an die Vermittler habe die Bank nichts gewußt, versicherten die HVB-Anwälte vor Gericht, und die Hypo habe den Drückern auch keine Finanzierungsprovisionen gezahlt. Denn mit den Vermittlern habe die Bank gar nichts zu tun gehabt: Zu Vertriebsgesellschaften „bestanden zu keinem Zeitpunkt irgendwelche rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, es bestand nicht einmal ein persönlicher Kontakt.“
Das war „glatt gelogen“, sagt Fuellmich. Der Anwait hat Strafanzeige wegen Prozessbetruges gestellt.
Die Geschäftspraktiken aus den 90er Jahren kommen erst jetzt ans Licht. Die Hypo kannte die hohen Provisionen, die an die Drücker und vor allem an die Chefs der Vertriebsgesellschaften gingen, sie zahlte ihnen Provisionen für die Finanzierungsvermittlung – und sie hatte enge Beziehungen zu den Drückern, die ihnen ein Finanzierungsvolumen von bis 15 bis 20 Milliarden Mark brachten.
Wie viele andere Bauträger hat auch der Münchner Rudolf Hartmann über Vermittler Eigentumswohnungen verkauft – „an Leute mit 2000 netto im Monat, die von ihrer Hausbank nicht einmal einen Kredit für einen gebrauchten VW bekommen hätten“. Von der Hypo bekamen sie sechsstellige Beträge – weit mehr, als ihre Immobilie wert war.
Aufgabe der Drücker war, diese Kundschaft mit geschönten Berechnungen und falschen Versprechungen zum Kauf einer vermieteten Eigentumswohnung zu überreden: Steuerersparnisse und Mieteinnahnmen seien so hoch, dass die Erwerber damit mühelos Zins und Tilgung zahlen könnten; und nach ein paar Jahren könne die Wohnung mit Gewinn verkauft werden.
Mit solchen Argumenten haben über 100 Vertriebsgesellschaften der Hypo Kreditnehmer zugeführt. Auch im Interesse der Bankmanager strichen die Vermittler zwischen Käufern und Verkäufern gewaltige Provisionen ein, die den Kaufpreis – und damit die Kreditsumme nach oben trieben. Auf den Abgabepreis der Bauträger packten sie Provisionen von zumeist 22 bis 30 Prozent, zuweilen auch 45 Prozent und mehr.
Immobilienmakler nehmen maximal sechs Prozent. Weil eine Wohnung schwer verkäuflich ist, wenn der Vermittler 30 Prozent Provision fordert, war der Aufschlag als Innenprovision im Kaufpreis versteckt – mit Wissen der Bank, die den Erwerbern solche Provisionen finanzierte.
So machte Martini dank seiner tüchtigen Immobilienabteilung Umsatz. Alle Immobilien aus dem Vermittlergeschäft waren überteuert, manche um mehr als 100 Prozent. Erst nach dem Kauf merkten die Opfer, dass sie auf eine miserable Kapitalanlage hereingefallen waren: Fast immer war die vorgerechnete Steuerersparnis tatsächlich viel geringer, die kalkulierten Mieteinnahmen fielen wesentlich dürftiger aus.
Die „Kloppertruppen“, wie die Drücker mit ihren rabiaten Methoden in der Immobilienbranche genannt werden, leisteten ganze Arbeit. Einer Fachkraft der Vertriebsgesellschaft Schwaben Finanz gelang es, einem jungen Pärchen für 151000 Mark ein halbes Einzimmer-Appartment in Worms aufzuschwatzen, vollfinanziert von der Hypo. Schließlich hatten die Drücker ein erstklassiges Verkaufsargument: „die bankgeprüfte Wohnung“.
Auf Schulungen, an denen gelegentlich auch Hypo-Angestellte teilnahmen, lernten die Vermittler ihre Verkausprüche: „Wir zahlen doch alle zuviel Steuern“ oder „Wäre es nicht gut, wenn Sie im Alter 1000 Mark Zusatzrente hätten?“ Und immer wieder: „Die Wohnung ist bankgeprüft, sonst würde die Bank das doch gar nicht finanzieren.“
Die Drücker kamen aus allen Berufen. Dachdecker, Kellner, Sekretärinnen, Studenten oder erfolglose Schlagersänger wurden im Eiltempo zu Finzberatem gemacht. Gelernt haben sie vor allem Verkaufspsychologie und die immer gleichen Argumente, mit denen sie ihre Kunden ködern konnten: Steuersparen, Altersvorsorge, Wertsteigerung.
Mit den Drückern war die Hypo sehr zufrieden. „Das Vermittlergeschäft“, so ein interner Vermerk, sei unter bestimmten Voraussetzungen „sogar ertragreicher und genauso risikoarm wie das eigenaquirierte Geschäft“.
Kein Wunder, die Kunden zahlten in der Regel überdurchschnittlich hohe Zinsen, 0,25 bis 0,5 Prozent über dem üblichen Hypo-Satz: „Tableaukondition + 0.5%“ hieß das dann.
Rechtsanwalt Klaus Kratzer hat Hunderte von Kreditverträgen überprüft. Nach seiner Erkenntnis warf das Vermittlergeschäft eine Zinsmarge von 1,7 bis 2,1 Prozent ab – die normale Marge habe bei 0,9 bis 1 Prozent gelegen.
„Zinsmargen über dem Bankdurchschnitt“ sei eine Vorgabe seiner Chefs gewesen, schrieb ein ehemaliger Stuttgarter Gruppenleiter in einer Stellungnahme für das Polizeipräsidium Frankfurt und stellte die rhetorische Frage: „Wie kann man höhere Konditionen als die Standardkonditionen am Markt durchsetzen?“
Da wurde ein wenig getrickst. So berechnete die Hypo ihren Darlehensnehmern zuweilen Kosten für Wertgutachten, die es gar nicht gab.
Vor dem Amtsgericht Maulbronn gestand ein ehemaliger Kreditsachbearbeiter der Hypo-Filiale Pforzheim, dass in den Darlehensunterlagen ein fiktiver Betrag auftauchte: „Es ist schon möglich, dass man den Betrag reinschreibt, obwohl kein Gutachten eingeholt wird. Die Nebenkosten wurden über die Schätzungsgebühr abgerechnet, weil sie nicht über die Zinsen abgerechnet werden konnten. Das war bei der Bank so üblich.“
Diese Anordnung sei von oben gekommen. „Die entsprechenden Vorschriften“ seien in einem „entsprechenden Organisationsleitfaden“ geregelt gewesen, so der Pforzheimer Hypo-Mann, der von einer Vertriebsgesellschaft geschmiert wurde. Bei Kunden, die von Vermittlern angeschleppt wurden, habe die Bank in der Regel Wertermittlungskosten vorgeschwindelt: „Es war sicherlich nicht in jedem Fall so, dass die Schätzungsgebühr ohne Gutachten verlangt wurde. Bei vermittelten Geschäften war es üblich.“
„Das ist Blödsinn“, sagt der ehemalige Hypo-Manager und derzeitige HVB-Bereichsvorstand Jürgen Cancik. Mit fiktiven Gutachter reale Gebühren zu kassieren, war jedenfalls kein Einzelfall. Auch die Filiale Passau schwindelte Wertermittlungskosten vor.
Dieser Fall kam zufällig bei einer Schadensersatzklage vor dem Oberlandesgericht München heraus. Die Bank, so stellte das Gericht fest, „hat eine Wertermittlung, wie es das Hypothekenbankgesetz vorschreibt, § 12 Hypothekenbankgesetz, in Wirklichkeit gar nicht vorgenommen. Es wurde schlichtweg der vom Verkäufer verlangte Kaufpreis in höhe von 175.000 DM herangezogen und davon ein Abschlag vorgenommen.“
Die Hypo machte es sich einfach: Von dem überhöhten Darlehen von 198.000 Mark rechnete die Bank einen Abschlag von 14 Prozent herunter – das war das Gutachten. Der Kunde zahlte für diese „Wertermittlung“ 990 Mark, 0,5 Prozent der Kreditsumme.
Nicht selten nahm die Bank für die Wertermittlung ein Prozent der Kreditsumme. Die Hamburger Sparkasse etwa, auch im Immobiliengeschäft Deutschlands größte Sparkasse, berechnet für die Arbeit eines Sachverständigen 0,2 Prozent des Darlehens – und die Hamburger Sparkasse hat noch nie eine Immobilie zu 160 oder 180 Prozent finanziert. Bei der Deutschen Hypothekenbank in Frankfurt kostet die Wertermittlung xxxx bis xxxxxx. (Anmerkung 2020News: Auslassung in der Druckfahne) Die Schätzgebühr – real oder fiktiv – war eine Möglichkeit, die überdurchschnittlich hohen Zinsen zu verschleiern.
Im Kreditgewerbe ist oft eine „Bearbeitungsgebühr“ üblich, zumeist ein Prozent der Kreditsumme. Diese Gebühr muss dem Kreditnehmer mitgeteilt werden und sie muss bei der gesetzlich vorgeschriebenen Angabe des Effektivzinses berücksichtigt werden. Nur der Effektivzins, der alle Kosten des Kredits berücksichtigt, gibt darüber Aufschluß, wie teuer das Darlehen ist.
Die Kosten der Wertermittlung aber fliessen nicht in die Effektivzins-Berechnung ein. So nahmen die Hypo-Kreditsachbearbeiter zuweilen statt einer Bearbeitungsgebühr Wertermittlungskosten bis zu einem Prozent des Darlehens. Der Effektivzins wurde damit scheinbar niedriger. Diese Rechenmethode war genehmigt per Vorstandserlaß IWD K 54. IWD steht für den internen „Informations- und Weisungsdienst“. Den Sinn dieser Tricksereien erläuterte ein ehemaliger Stuttgarter Hypo-Mitarbeiter: „Damit konnte der Effektivzins optisch schöner gestaltet werden.“ Diese Aussage gab ein Ex-Gruppenleiter bei einem Betrugsverfahren gegen eine Vertriebsgesellschaft zu Protokoll – „Unsinn“ für den HVB-Manager Cancik.
Es wird nun eng für die HypoVereinsbank. Über 3.000 Finanzierungsopfer vertritt Fuellmich, rund 2.000 Kratzer, 800 Mathias Nittel aus Heidelberg. Zwei Dutzend weitere Anwälte gehen gegen die HVB vor. Doch erst seit Klaus Kratzer interne Hypo-Dokumente aufgetrieben hat, sind die HVB-Juristen unruhig. Die Papiere, von denen die HVB-Oberen annahmen, sie seien bei der Fusion 1998 geschreddert worden, bieten einen erstaunliche Einblick in das Innenleben einer Bank.
In den Hypo-Filialen gingen die Drücker ein und aus. Bank-Angestellte waren auf Verkaufsschulungen und Partys der Drücker, sie kassierten Schmiergelder von den Chefs der Vertriebsgesellschaften und fuhren mit ihnen zum Tauchurlaub nach Ägypten. Die Bank, die vor Gericht „wirtschaftliche und rechtliche Beziehungen“ zu den Vermittlern abstritt, führte jeden Drücker in ihrem Computersystem VIPS („Vermittler-Information- und Provisionssystem“) mit Vermittlungsnummer und Provisionskonto.
Die Bank hatte intern ein „Raster zur Prüfung der grundsätzlichen Zusammenarbeit mit Immobilienstrukturvertrieben“ entwickelt. Ein Prüfpunkt: „Besteht ein Drückerkolonnen-Image?“
Ein schlechtes Image war kein Hindernis für eine Zusammenarbeit. Berührungsängste kannten die Banker nicht.
– Der Pforzheimer Bordellbesitzer Peter Häberle vermittelte als Chef einer Drückerkolonne Hypo-finanzierte Wohnungen, bis ihn das Oberlandesgericht Karlsruhe aus dem Verkehr zog (sieben Jahre wegen Anlagebetrugs);
– für die Hypo arbeitete die AFR aus Hilden, der Düsseldorfer Staatsanwälte vorwerfen, Anleger betrogen und falsche Mietgarantien abgegeben zu haben;
– ein Betrugsverfahren läuft derzeit gegen Karl-Heinz Schotts, der als Chef der Vertriebsgesellschaft Pyramid Geschäftspartner der Münchner Bank war;
– die Heilbronner Brüder Hans-Jürgen und Friedbert Schaul, die nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt als „Finanzhaie“ bezeichnet werden dürfen, verschafften mit den von ihnen gesteuerten Drückerkolonnen der Hypo schätzungsweise 20.000 Finanzierungen;
– prominentester Hypo-Partner war der ehemalige Weltklasse-Sprinter Manfred Immer mit seiner Vertriebsfirma Detag. Auf dem Grauen Kapitalmarkt ist Ommer seit vielen Jahren bekannt als „Vermögensvernichter“ und „eiskalter Profi, der genau weiss, was er will, nämlich das Geld anderer Leute“, wie der Branchendienst „Gerlach-Report“ schrieb.
Auch andere Banken haben mit Kloppertruppen zusammen gearbeitet. Die Deutsche Bank brach nach kurzer Zeit die Kooperation ab, weil sie fürchtete, sie könnte für die Praktiken der Drücker haftbar gemacht werden. Auch die Commerzbank, die ihre Vermittler „Zuführer“ nannte, wies bald ihre Angestellten an, die Kontakte zu den „unseriösen Zuführern“ mit ihren „überhöhten/aufgeblähten Verkaufspreisen/Gesamtkosten“ zu beenden. Die Hypo hatte keine Bedenken.
Neben der Bank und dem Vertrieb gab es noch „eine dritte Säule des Immobilienbetrugs“, eruierte Kratzer: das „Netzwerk der Notare“.
Bundesweit durften 162 ausgesuchte Notare die Verträge beurkunden – Notare, die es mit den Standesregeln nicht übermäßig genau nahmen. Diese Gruppe, eine kleine Minderheit in der rund 10.000 Mitglieder starken Zunft, spielte eine wichtige Rolle. Bevor die Hypo ein Baudarlehen auf ein Notaranderkonto überwies, schloß sie bei der Hamburger Hermes eine so genannte Vertrauensschadenversicherung ab, um sich gegen „Schäden aus vorsätzlichem oder fahrlässigem Fehlverhalten des Notars“ abzusichern. Bei 162 Notaren legte die Hermes eine Versicherung ab.
Diese 162 Notare hatte die Hypo auf einer Liste („streng vertraulich“) notiert, die auch an Niederlassungen ging. Der „Informations- und Weisungsdienst“ der Bank untersagte per IWD K 50-11 „Auszahlungen oder Übersendungen von Urkunden“ an Notare auf der schwarzen Liste.
Seltsam nur, dass ausgerechnet diese 162 Notare überall in Deutschland die Verträge für die Hypo-finanzierten Wohnungen beurkundeten. Mit über 100 Vertriebsgesellschaften hat die Hypo zusammen gearbeitet – und fast jeder Drücker wußte, zu welchem Notar er die Wohnungskäufer bringen sollte.
Die HVB kann dies nicht so recht erklären. Die Hypo habe keinesfalls die schwarze Liste den Drückerkolonnen gegeben, versichert HVB-Sprecher Thomas Pfaff, die Namen hätten sich „unter den Vertrieben herumgesprochen“. Anwalt Fuellmich hat Aussagen von hochrangigen Drückern, sie hätten die Liste von der Bank erhalten.
Sein Münchner Notar, so berichtet der Ex-Chef einer Vertriebsgesellschaft, habe in einem Jahr 3.000 Verträge besiegelt. Ein Kölner Notar – auch er stand auf der schwarzen Liste – brachte es in zehn Tagen auf 422 Beurkundungen. Kein seriöser Notar schafft 42 Verträge pro Tag.
Bei Notaren, die ihre „Hinweis- und Belehrungspflicht“ ernst nehmen, wäre wohl mancher Wohnungskauf nicht zustande gekommen. Die Notare auf der Hermes-Liste waren nicht so pingelig. Sie hielten sich sogar auf Abruf bereit, wenn die Vermittler ihre Opfer anschleppten. Die „Mitternachtsnotare“, wie sie Fuellmich nennt, beurkundeten oft am späten Abend, auch noch gegen Mitternacht, sie waren samstags und sonntags behilflich. Ein Berliner Notar nahm bei Feierabend sein Amtssiegel mit und machte es sich zu Hause bequem, bis der Drücker mit seinem Kunden erschien.
Schließlich durften die Wohnungskäufer nicht allzu lange überlegen. „Wir hatten keine Gelegenheit, darüber nachzudenken“, erinnert sich Gisela Janssen. Ihr Mann hatte bei der Volkshochschule München-Germering einen Kurs zur Altersvorsorge besucht – und gleich hatte ihn ein Drücker beim Haken, mit einem Studentenappartment in Kassel.
Die Janssen wollten die Wohnung eigentlich über ihre Bank, die Sparda, finanzieren. Ihr Vermittler von der Vertriebsgesellschaft redete ihnen das aus: Ein Drücker, der nicht über die Hypo finanzierte, wurde mit einer Provisionskürzung bestraft.
Ganz schnell schleppte sie der Mann von V 3 abends um halb acht zu dem Notar mit den 3.000 Beurkundungen jährlich. Dort unterschrieben sie aber keinen Kaufvertrag für die Wohnung, sondern schlossen einen „Geschäftsbesorgungsvertrag“ mit einer Treuhandgesellschaft ab. Alle vermittelten Wohnungen wurden über diesen Umweg verkauft.
Mit dem Geschäftsbesorgungsvertrag erhielt der Treuhänder eine unwiderrufliche Vollmacht, alle Maßnahmen zu regeln, die für den Kauf, die Finanzierung und Vermietung der Wohnung „erforderlich oder zweckmäßig sind oder zweckmäßig erscheinen“. Der Treuhänder ließ den Wohnungskäufer ins Grundbuch eingetragen und schloß in dessen Auftrag eine ganze Reihe von Verträgen.
Die Vollmacht war ein Freibrief für die Treuhänder, die eine ebenso wichtige Rolle spielten wie die Notare. „Untreuhänder“ nennt sie Anwalt Nittel. Es gab eine ganze Reihe solcher „Scheintreuhänder“ (Fuellmich), aber besonders gut im Geschäft war die Kölner CBS oder ihre Schwestergesellschaft KT. Wie die Bank angeblich nur finanzierte, der Notar nur beurkundete, so wickelte der Treuhänder nur ab: Er „überprüft nicht“ lautete die Standard-Formulierung der CBS, ob der Wohnungskauf „wirtschaftlich sinnvoll ist“. Natürlich war diese Kapitalanlage, und das müssen die Treuhänder gewußt haben, wirtschaftlicher Unsinn.
Die Geschäftsbesorgungsverträge waren eine Goldgrube für die Treuhänder: Mindestens 800 Millionen Mark haben sie an den Hypo-finanzierten Wohnungen verdient. Die Gebühren für die Treuhänder, bei der CBS waren es 4,8 Prozent des Gesamtpreises, waren freilich nur ein kleiner Teil der vielen Provisionen und Gebühren – von der „Nebenkostengarantie“ bis zur „Finanzierungsvermittlung“ -, die den Preis einer Wohnung nicht selten um 100 Prozent verteuerten. Den Wohnungsverkäufern sei eben ein Dienstleistungspaket verkauft worden, sagt Jürgen Cancik, HVB-Bereichsvorstand Immobilien; das sei der Preis für die „Rundum-sorglos“ – oder „Vollkasko-Immobilie“. Cancik: „Die Käufer haben das doch gewußt.“
Eben nicht. Von den Nebenkosten, die auf einem gesonderten Blatt zum Geschäftsbesorgungsvertrag standen, erfuhren die ahnungslosen Käufer – wenn überhaupt – erst dann, als sie bereits unterschrieben hatten. Die Drücker der Schaul-Vertriebe, berichtete ein ehemaliger Mitarbeiter, mußten dafür sorgen, dass die Kunden Unterlagen „erst nach der Unterschrift beim Notar erhielten“. Ein Drücker der Firma V3 bedauerte, ihm seien die Prospekte ausgegangen. Der Notar rasselte die Gebühren so schnell herunter, dass Gisela Janssen nichts verstand.
Viele Wohnungen seien keine sonderlich rentable Anlage gewesen, gibt Cancik zu. Das liege aber an der Immobilienbaisse: „Jeder, der damals gekauft hat, hat aus heutiger Sicht zu teuer gekauft.“
Zu teuer haben vor allem Hypo-Kunden gekauft. Wilhelma Geirhos etwa hat 116.000 Mark für ein 21-Quadratmeter-Appartment in Kassel gezahlt. Im vergangenen Monat fand sie nach langer Suche einen Käufer, der die Immobilie übernahm: für 14.500 Mark
Der Verkauf war eine kluge Entscheidung, meint Günther Schanz, Professor der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Göttingen. Solche Wohnungen bringen jahrzehntelang nur Verluste. Auch Schanz hat viel Geld beim Verkauf seiner Wohnung verloren.
Die Verkaufsunterlagen, die damals Manfred Kommers Detag präsentierte, hatten für den Professor „den Anschein der Seriosität“, und er hielt es für sinnvoll, in ein Studentenappartment zu investieren. 1991 kaufte er eine Kleinwohnung in Homburg an der Saar für 165.000 Mark. Ende vergangen Jahres verkaufte er sie für 20.000 Mark.
„Die ganze Anlage ist eine Schrottimmobilie“, merkte Schanz, die Wohnungen sind schwer vermietbar – und teuer für die Eigentümer, die wegen hoher Leerstände hohe Nebenkosten aufbringen müssen. Alles in allem, mit Zinszahlungen und den Wohnungsnebenkosten, hat ihm für seine Investition einen Verlust von 320.000 Mark eingebracht, rechnete sich der Professor aus.
Den Verkaufserlös hat er an die Hypo-Vereinsbank überweisen. Rund 140.000 Mark schuldet er der Bank noch. Weil er die Hypo für den Drahtzieher hält, will er sein Baudarlehen „trotz heftiger Mahnungen“ nicht zurückzahlen.
Aus den Immobilienfinanzierungen, meint der Direktor des Instituts für Unternehmensführung, könnten seine Studenten etwas lernen. Die Bank hat Schanz zu einer Vorlesungsreihe inspiriert: „Business ethics“, Geschäftsmoral.“