Mittwoch, Dezember 25, 2024
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Die Rechtsbeugung von Leipzig: Kostenentscheidung als Abschreckung

Ein Gespräch mit Rechtsanwältin Viviane Fischer

2020News: Ein Familienrichter aus Leipzig hat am 15. April 2021 entschieden, eine Anregung nach § 1666 BGB auf Prüfung einer möglichen Kindswohlgefährdung wegen der Test- und Maskenpflicht in der Schule für zwei Leipziger Kinder zu verwerfen. Der alleinerziehenden Mutter hat er zum Vorgang  Az. 335 F 1187/21 Gerichtskosten in Höhe von € 18.654,00 auferlegt. Diese errechnen sich für einen Verfahrenswert von € 500.000,00. Der Richter hatte den Verfahrenswert zunächst auf 1.500.000,00 festgesetzt. In einer weiteren Entscheidung hatte er dann sogar einen Verfahrenswert von € 4.120.000,00 zugrundegelegt, diesen aber mit dem Höchstwert von € 500.000,00 gedeckelt. Was ist da los in Leipzig?

Viviane Fischer: Bei dem Leipziger Richter handelt es sich um Prof. Dr. Jens Lieckfeldt. In Leipzig ist wie zuvor in Weimar wegen der Test-, Masken- und Abstandspflicht ein Verfahren nach § 1666 BGB angeregt worden. Ein solches Verfahren kann eingeleitet werden, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls zu besorgen steht. Die Anregung zur Prüfung kann dabei von Personen oder Institutionen ausgehen, also z.B. vom Jugendamt, einem Elternteil, einem Arzt oder auch vom Kind selbst. Das Gericht kann auch unmittelbar von Amts wegen tätig werden, wenn es Kenntnis von kindswohlgefährdenden Zuständen erlangt.

In Weimar hatte der zur Entscheidung berufene Richter Christian Dettmar entschieden, dass es zwei Weimarer Schulen mit sofortiger Wirkung verboten sei, den Schülerinnen und Schüler vorzuschreiben, Mund-Nasen-Bedeckungen aller Art (insbesondere qualifizierte Masken wie FFP2-Masken) zu tragen, AHA-Mindestabstände einzuhalten und/oder an SARS-CoV-2-Schnelltests teilzunehmen. Zugleich hatte er bestimmt, dass der Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten sei. Grundlage seiner Entscheidung waren drei umfangreiche Sachverständigengutachten.

Der Richter in Leipzig dagegen hatte sich für unzuständig erklärt und den Vorgang an das Verwaltungsgericht verwiesen. Diese Entscheidung ist rechtsfehlerhaft. Wie das Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte KRiStA detailliert dargelegt hat, ist das Verwaltungsgericht in einer solchen Kindschaftsangelegenheit grundsätzlich nicht zur Entscheidung berufen. Das Familiengericht ist zur Durchführung von Vorermittlungen verpflichtet und muss nach pflichtgemässer Ermessensausübung feststellen, ob Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage für das betreffende Kind vorliegen, wie auch das Oberlandesgericht Karlsruhe in seiner jüngsten Entscheidung noch einmal bestätigt hat.

Dass in Bezug auf die Corona-Maßnahmen letztlich der Staat die Ursache für die Kindswohlgefährdung setzt, begründet explizit keine Sonderzuständigkeit des Verwaltungsgerichts, die das gesetzlich verankerte Wächteramt der Familiengerichte aushebeln könnte. Das ist auch richtig so. Andernfalls hätten Kinder keinen effektiven Schutz vor schädigendem staatlichen Treiben. Man stelle sich nur einmal vor, eine Regierung, die sich völlig von Recht und Gesetz entfernt hat, würde per Verordnung sexuellen Missbrauch an Kindern in Schulen für legal erklären oder sogar anweisen. Wenn sich die Kinder hier in kostenintensiven, langwierigen Verwaltungsrechtsstreitigkeiten, bei denen im Eilverfahren in der Regel nur eine summarische, eine Plausibilitätsprüfung erfolgt, wehren müßten, wären sie quasi schutzlos gestellt. Dies ist mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren, aber auch nicht mit der UN-Kinderkonvention, die seit dem 15. Juli 2010 vorbehaltslos auch in Deutschland gilt. Die sie in Deutschland konkret umsetzende Norm ist nach allgemeiner Ansicht § 1666 BGB. In der UN-Kinderrechtskonvention heisst es unter anderem: „Artikel 3 [Garantie des Kindeswohls] (1) Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

2020News: In Weimar hatte der Richter einen Verfahrenswert von € 2000 zurgrundegelegt. In Leipzig waren es letztlich € 4.120.000 Millionen gedeckelt auf € 500.000. Wie kommen so extrem unterschiedliche Kostenentscheidungen zustande?

Viviane Fischer: Es dürften sachfremde Erwägungen im Spiel gewesen sein. Für die hohen Gerichtskosten gibt es keinerlei rechtliche Basis.
Die Kostentragungspflicht richtet sich nach § 81 FamFG. Das Kind trägt keine Kosten, der anregenden Stelle können zwar Kosten auferlegt werden. Diese sind jedoch gering. Der Regelwert für selbständige Kindschaftssachen liegt im Hauptsacheverfahren gem. § 45 FamGKG bei € 4.000, in einem einstweiligen Anordnungsverfahren, wie vorliegend der Fall, bei der Hälfte davon, also € 2.000. Das sind wohlgemerkt die Verfahrenswerte, nicht die zu zahlenden Gebühren. Abweichungen sind zwar grundsätzlich möglich, vor allem wegen größeren oder geringeren Aufwands, § 45 FamGKG. Eine besondere Aufwandssteigerung ist hier jedoch nicht ersichtlich. Daraus resultierten im Eilverfahren Kosten in Höhe von € 59,68. In Leipzig ist also ersichtlich eine völlig überhöhte Festsetzung des Verfahrenswerts erfolgt. Da durch ein zweites Kind keine Erhöhung erfolgt, erfolgt auch keine Erhöhung durch weitere 350 Kinder. Die Anregung war ja erfolgt für alle Kinder der Schule. Der Richter hat dann aber selbst mitgeteilt, dass er nur wegen der beiden Kinder der auf die Kindswohlgefährung hinweisenden Mutter entscheiden werde. Allein in der Kostenentscheidung dann auf alle anderen Kinder zu rekurrieren, zeigt, dass es um anderes ging, als die Gesetze ordnungsgemäß anzuwenden.

2020News: Mir schwirrt der Kopf – was bedeutet das? Heisst das, der Richter hat hier einfach mal so nach Lust und Laune entschieden? Ist so etwas rechtlich zulässig? Der Journalist Boris Reitschuster, der die Mutter interviewt hatte, hatte geschrieben, dass sie geschockt gewesen sei….

Viviane Fischer: Ich kann es nur als Willkürentscheidung deuten, als Rechtsbeugung. Rechtsbeugung ist die vorsätzlich falsche Anwendung des Rechts durch Richter, Amtsträger oder Schiedsrichter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei. Rechtsbeugung ist strafbar gem. € 339 StGB. Ich denke, dass die Mutter gut beraten ist, hier Strafanzeige zu stellen. Zugleich dürfte die ersichtlich rechtsferne Entscheidung aber auch Amtshaftungsansprüche gegen den Richter und seinen Dienstherrn begründen, z.B. wegen des erlittenen Schocks.

2020News: Das ist ja schon ein sehr bemerkenswerter Vorgang.

Viviane Fischer: Ja, durchaus. Rechtsanwalt Dr. Justus Hoffmann hatte in der 49. Sitzung vom Corona-Ausschuss den Gedanken geäußert, dass sich eine Dienstaufsichtsbeschwerde anbieten könnte, um eine gerichtsinterne Untersuchung der Angelegenheit zu befördern. Dies ist formlos möglich und nicht an bestimmte Fristen gebunden, die Beschwerde kann von jedermann, also z.B. auch per Mail oder per Fax beim Dienstherrn, das wäre der Direktor des Amtsgericht Leipzig, erhoben werden. Ich persönlich habe mich dazu entschlossen, Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Herrn Prof. Dr. Lieckfeldt zu erheben.

2020News: Was kann die Mutter gegen die überhöhten Kosten tun?

Viviane Fischer: Sie muss gegen die Kostenentscheidung vorgehen. Es ist außer Frage, dass die Kostenentscheidung aufgehoben werden wird. Sie ist rechtlich nicht haltbar.

2020News: Der Richter aus Weimar ist im Nachgang zu seiner Entscheidung mit einer Hausdurchsuchung überzogen worden. Wegen angeblicher Rechtsbeugung. Wir haben darüber berichtet. Was ist dazu zu sagen?

Viviane Fischer: Es gibt dafür keine Rechtsgrundlage. Der Richter war zur Entscheidung berufen, wie das OLG Karlsruhe in seiner aktuellen Entscheidung bestätigt hat, er hat also nicht etwa einen Fall an sich gerissen, der nicht in seinem Zuständigkeitsbereich lag. Beschlüsse gem. § 1666 BGB können sich zweifelsfrei auch gegen Dritte richten, zu diesen Dritten gehören auch staatliche Institutionen, mithin auch öffentliche Schulen. Auch insoweit ist daher keine Rechtsbeugung erkennbar.

2020News: Welche Motivation könnte hinter der Leipziger Entscheidung stecken?

Viviane Fischer: Auf mich wirkt es so, als habe der Leipziger Richter hier mit einer völlig überhöhten Kostenentscheidung ein abschreckendes Signal an Eltern und andere Gewährsleute für das Wohl von Kindern senden wollen, um diese von einem Vorgehen gemäß § 1666 BGB abzuhalten. Es handelt sich also nicht um eine richterliche Entscheidung arte legis, sondern um ein politisches Signal, ob autonom wegen einer massnahmenfreundlichen Einstellung des Richters oder aufgrund von persönlichen oder sonstigen Näheverbindungen oder wegen einer Drucksituation kann ich nicht beurteilen. In jedem Fall stellt sich die Leipziger Entscheidung als ein Missbrauch der Rechtsstellung eines Richters dar. Sie ist in meinen Augen mit der Würde des bekleideten Amtes nicht zu vereinbaren.

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